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Traeume ernten

Traeume ernten

Titel: Traeume ernten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lidewij van Wilgen
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Metallschuppens sowie ein paar große, nebeneinander geparkte Traktoren.
    Vor allem aber wird meine Aufmerksamkeit von der Gruppe junger Leute vor dem Eingang gefesselt. Die meisten von ihnen sind wahrscheinlich nicht älter als 25 Jahre, tragen helle Jeans, Pullover mit Jacquard-Motiven und T-Shirts mit Werbung für landwirtschaftliche Produkte, einzelne auch eine Trainingshose oder -jacke.
    Als sie mein deplatziertes Auto registrieren, verstummen alle Gespräche, Köpfe drehen sich in meine Richtung. Man stößt sich gegenseitig an und schaut andächtig zu, wie ich aus dem Wagen steige, meine Tasche nehme und auf sie zugehe. Ich murmele einen undeutlichen Gruß, und die Gruppe macht mir Platz. Ich steige die Treppe zum Eingang hinauf und betrete eine gelb-beige geflieste Halle, in der ein paar durchgesessene Bürostühle mit Chromgestellen stehen. An dem Schwarzen Brett aus kaputtem Kork hängen weiße Blätter mit der Einteilung der Klassen. Der Form halber studiere ich sie interessiert – es gibt nur drei Klassen, und die Namen der Schüler sagen mir nichts. Ich zähle die Anzahl männlicher Schüler pro Gruppe und stelle fest, dass sie deutlich in der Mehrheit sind.
    Noch immer fühle ich Blicke auf mich gerichtet. Also gehe ich zu einem Poster hinüber, auf dem ein muskulöser junger Mann mit entschlossenem Blick über ein Kornfeld schaut. Der Fotograf hat ihn von unten her aufgenommen. Eine glänzende Sonne strahlt über dem Feld, Leni Riefenstahl, aber in bunt und digital. Im Hintergrund steht ein älterer Mann, breitbeinig, die Arme verschränkt. Entschlossen und stolz guckt er zu dem jungen Mann hinüber. »Die Zukunft gestalten wir zusammen!«, lautet die Überschrift. Propaganda für eine Kolchose? Nein, Landwirtschaftspolitik der französischen Regierung.
    In einem letzten Versuch, mich abzulenken, richte ich meinen Blick auf ein Poster mit einem anderen gesund aussehenden jungen Mann im Blaumann, der ein ängstliches Lämmchen im Würgegriff hält. »Das Lamm, meine Leidenschaft!«, steht darüber. Ich gebe mich geschlagen, drehe mich um und stelle mich den forschenden Blicken.
    Zehn quälende Minuten später entsteht Bewegung am Eingang. Der Unterricht scheint zu beginnen, und ich folge der Gruppe vorbei an einer kleinen schiefen Palme zu dem anderen Gebäude.
    Jeder Unterrichtsraum hat eine Tür, die in den Garten führt. Ich folge der Gruppe in ein Klassenzimmer, das genauso aussieht wie fast überall auf der Welt: Resopaltische in Hufeisenform und leere Wände in einem unbestimmten Hellbeige. An der Wand hängt ein Poster, das die »Stades phénologiques de la vigne« zeigt, eine Serie schematischer Zeichnungen von der zögerlichen Knospe zur wollüstigen Traube. Ich wähle einen hinteren Platz und lasse meinen Blick über die Mitschüler schweifen. Die meisten sind offenbar stille, zurückhaltende Söhne von Winzern, die gelassen abwarten, was kommen wird. Einer der jungen Männer ist größer als die anderen, hält sich aufrecht, schaut selbstbewusst in die Runde und unterhält sich mit seinen Nachbarn. Maurice, wie er sich später vorstellt, lebt mit seinen Eltern auf einem großen Weingut in Saint Chinian. Und dann ist da Christophe, ein junger Mann aus dem wallonischen Teil Belgiens mit einem zufriedenen und amüsierten Lächeln. Er will Kiwis züchten. Glücklicherweise gibt es auch ein paar Frauen in der Klasse. Eine junge Frau mit dickem, hochgestecktem Haar stellt sich als Géraldine vor. Zufrieden betrachte ich den großen, silbernen Ring an ihrem Finger und ihren nicht allzu agrarisch anmutenden schwarzen Pullover. Sie will in den Gemüseanbau. Ich lächle sie an, sie lächelt zurück – wer weiß …
    Eine sympathische, aber müde wirkende Frau mit dunklen Locken steht vor der Tafel.
    Â»Bon, bienvenue au Montflourès« , sagt sie fast entschuldigend. »Ein paar wichtige Dinge vorweg …«, fährt sie fort und beginnt damit, eine riesige Ladung von Unterrichtsabläufen, Abteilungen und Abkürzungen vor uns auszukippen. Ich schaue erschrocken auf, aber sie fährt ungerührt fort: »Dann gibt es natürlich noch die Behörden, die Sie bei Ihren Vorhaben unterstützen können, ich nenne nur die FDSEA , die CNASEA , die ADASEAH …« Ich schaue zu meiner Nachbarin hinüber. Findet sie das

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