Traeume ernten
meine Worte wie eine Seifenblase zur Wand treiben und dort zerplatzen, wenn wir nur lange genug warten? Siehe da, Problem gelöst.
Ich warte noch einen Moment, dann rede ich weiter: »Gibt es vielleicht ein Buch, das Sie mir empfehlen können? Etwas Einfaches, das mir das Grundwissen vermittelt?«
»Nein«, sagt er freundlich, aber unbeholfen, »so eines kenne ich nicht.«
Inzwischen sind die meisten Schüler hereingekommen und haben unter lautem Stuhlgeschiebe Platz genommen. Monsieur Baleste und ich schauen uns noch kurz ratlos an, dann steht er auf und geht zur Tafel. Ich setze mich auf meinen Platz, während er ein Fass mit der Zahl 1000 darauf zeichnet. Dann hält er inne. Er zögert, dreht sich aber dann zur Klasse um und sagt: »Für manche hier ist es vielleicht gut, wenn ich einige Grundbegriffe kurz wiederhole.«
Er wischt die Zeichnung weg und schreibt quer über den weiÃen Fleck, der zurückbleibt: la fermentation , die Gärung.
Natürlich ist durch diese kleine Intervention mein Platz in der Klasse festgeschrieben. Jetzt bin ich der souffre douleur , der Prügelknabe, der die Unwissenheit der gesamten Klasse absorbiert und neutralisiert. Jetzt erinnert Baleste sich plötzlich mitten in einer langen Auslassung an die dumme Niederländerin, er hält kurz inne, schaut mich an, um dann den letzten Teil seines Satzes quälend langsam zu wiederholen: »Vous suivez, Lide?« Ich lache freundlich zurück, ja, ja, Lide gibt ihr Bestes.
Dennoch ist es ein verlorenes Spiel. Vielleicht kann dieser Mann eine Praktikantin in einer Winzergenossenschaft hervorragend betreuen. Möglicherweise kann sie ihm wunderbar folgen, wenn sie mit ein paar Schläuchen in der Hand vor einem Fass steht. Aber im Klassenzimmer fehlen diese praktischen Zusammenhänge, und so verfluche ich mich, dass ich nicht besser aufgepasst habe, als Siebe mit der Weinherstellung befasst war.
»Für welche Verbesserungen können wir im milieu fermentaire sorgen?«, fragt Baleste aus dem Nichts. Was ist ein milieu fermentaire ?, denke ich, um dann die Antwort, die er selbst gibt, von der Tafel abzuschreiben. »Sulfitage. Levurage. Augmentation de la richesse en sucre. Acifidication.«
Nächste Frage: »Welche alternativen Techniken gibt es, um hochwertige Weine im Languedoc-Roussillon herzustellen?«
Antwort: »1) die Macération préfermentaire , 2) die Macération initiale à chaud , 3) die Macérations longues , als da wären: a) die Macération finale naturelle , b) Macération finale à chaud und Lâemploi de micro-oxygénation .«
»Ãhm, könnten Sie vielleicht etwas mehr über die einzelnen Techniken sagen?«, frage ich vorsichtig. »Dazu kommen wir später«, sagt Baleste, »ich nenne zunächst die allgemeinen Verfahren.« Ich starre auf meinen vollen Schreibblock, auf all diese Wörter ohne Bedeutung. Ich fühle eine Hilflosigkeit, die wie aufsteigendes Wasser langsam meinen Kopf auszufüllen droht.
Mit Laartje auf dem Arm und zwei müden Mädchen, die ich gerade vom Schulhof geholt habe, komme ich am Weingut an. Die Ãffnung in der hinteren Fassade wird inzwischen von einem starken T-Träger gestützt. Der verputzte offene Kamin in der Eingangshalle ist inzwischen einer breiten, soliden Betontreppe gewichen. Das sieht ordentlich aus, denke ich, als ich zufrieden nach oben gehe. Aber schon nach vier Schritten fühle ich, dass etwas nicht stimmt. »Hat hier jemand mal einen Zollstock?«, frage ich einen der Männer. Der ältere Marokkaner holt widerwillig ein RollmaÃband aus der Tasche. Er ahnt bereits, was kommt. Und tatsächlich: Ich messe 14 Zentimeter an der ersten Stufe, 18 an der zweiten, 15 an der dritten. Jetzt messe ich auch die Stufen an den beiden Seiten nach. Verdammt, auch hier finde ich eine Abweichung von mehr als zwei Zentimetern. »Jâhallucine!« , sage ich zu Monsieur Samper, dem Architekten, der gerade mit einem Stapel Papier unter dem Arm das Haus betritt.
»Aber Sie kommen doch in die obere Etage: Was wollen Sie also mehr?«, seufzt er müde, »und die paar Zentimeter Unterschied, on rattrappe avec le carrelage .« Rattrapper , ausgleichen, ein Wort, das ich in den nächsten Monaten viel zu oft hören muss. »Sie können doch vier Zentimeter nicht mit ein bisschen Zement ausgleichen«, wende ich vorsichtig ein. Dann etwas
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