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Traeume ernten

Traeume ernten

Titel: Traeume ernten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lidewij van Wilgen
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Buchhaltung machen?«, fragt er. Er hat die ganze Woche hart gearbeitet, jetzt ist er zu Hause, er möchte es sich mit seiner Familie gemütlich machen. Es kommt mir so vor, als wüsste ich inzwischen gar nicht mehr, wie das geht. Ich befinde mich in einer Art Überlebensmodus: Ich sitze viel im Auto, gehe spät ins Bett, eigentlich bin ich todmüde, aber ich muss immer weiter und weiter und weiter, um dafür zu sorgen, dass alles fertig wird. Meine letzte Energiereserve spare ich für die Mädchen auf – ich nehme an, dass ich nicht die nette, fröhliche Ehefrau bin, die Aad aus Haarlem kennt.
    Â»Türen«, denke ich inzwischen wie besessen. Auf dem Weingut spricht Samper Aad an: »Elle n’est pas raisonnable« , sagt er über die Patientin, während diese danebensteht. »Wir werden die Trennwände in einer Woche fertigstellen, doch wenn sie an ihrer Idee festhält, kommt die Arbeit zum Erliegen.« Aad beruhigt ihn, verspricht, dass alles gut wird. »Aber ich bin schon neugierig, wo du die Türen herbekommen willst«, sagt er, als wir hinterher im Auto sitzen, und lacht.
    Das weiß ich auch noch nicht. Auf der Website der Gelben Seiten gibt es die Kategorie »alte Baumaterialien« nicht. Wir sind nicht in der romantischen Provence, sondern im Land der Aluminium-Schiebetüren und der Fensterrahmen aus PVC . Neue Möbel sind praktisch und leicht zu pflegen. Welcher Verrückte will schon altes Zeug in seinem neuen Haus? Am Montag werde ich bei Abriss-Unternehmen anrufen.
    An diesem Sonntag essen wir in einem schlossähnlichen Hotel zu Mittag, das von einem niederländischen Ehepaar geführt wird. Gérard ist ein netter, teddybäriger Mann, der früher Hockey spielte. Er trägt eine helle Bundfaltenhose und ein Polo-Shirt von Ralph Lauren. Ich mag ihn gerne. Seine Frau Caroline ist immer sonnenbankgebräunt, hat toupiertes Haar, trägt Blusen mit Rüschen und viel zu viel Goldschmuck. Sie sind wahrscheinlich genauso alt wie wir, haben Kinder im selben Alter, eigentlich müssten wir Freunde sein, aber irgendwie ist es nie dazu gekommen.
    Jetzt sitzen wir zusammen an einem der runden Tische auf der Terrasse, die an die Parkanlage ihres Hotels grenzt. Die Tische sind mit lachsfarbener Wäsche eingedeckt, die schmiedeeisernen Stühle sind mit frivolen kleinen Kissen ausgestattet, und auf den Tischdecken liegen seidene Blütenblätter. Gérard und Aad sprechen über die Engstirnigkeit der örtlichen Bevölkerung, über Menschen, mit denen man nicht reden kann, ihren Mangel an Unternehmergeist, über den Widerstand, auf den Gérard stößt, wenn es um sein Hotel geht. Ich höre zu, bin müde, es fällt nicht auf, dass ich nichts sage. Mit Verwunderung nehme ich ein neues Gefühl an mir wahr, das Gefühl, dass wir unterschiedlichen Lagern angehören. Gérard betreibt ein internationales Hotel, Aad arbeitet in den Niederlanden, sie genießen beide die Sicherheit ihres vertrauten Netzwerks. Bei mir ist das längst nicht mehr so: Ich bin alleine, ich muss mit genau diesen Menschen vor Ort zusammenarbeiten. Ich sitze mit ihnen im Unterricht, sie sind diejenigen, mit denen ich täglich spreche. Zum ersten Mal sehe ich deutlich, dass Aads und meine Welt auseinanderdriften.
    Als endlich das Wort an mich gerichtet wird, beginne ich automatisch über das Thema zu sprechen, das mich im Moment am meisten beschäftigt: Türen. »Türen?«, fragt Gérard. »Die Feuerwehr hat mir gerade mitgeteilt, dass ich alle Flügeltüren auf der oberen Etage durch Brandschutztüren ersetzen lassen muss. Wenn du willst, kannst du gerne ein paar mitnehmen.«
    Nach dem Kaffee gehen wir zusammen ins Lager hinter dem Haupteingang. Es ist eine feuchte Scheune. Das Hotel ist ein großes Weingut aus dem 18. Jahrhundert – die hohe, schlichte Fassade mit den weißen Stuckelementen wirkt eher spanisch als französisch. Auf den langen Fluren liegen noch die originalen Terrakotta-Fliesen, und die Zimmer hatten bislang hohe, getäfelte Flügeltüren. Inzwischen ist die Feuerwehr jedoch auf die Idee gekommen, alle Holztüren entfernen zu lassen, nur um einen Brand, den es wahrscheinlich nie geben wird, ein paar Minuten aufzuhalten. Wie umgefallene Bücher lehnen die Türen jetzt in der Scheune aneinander.
    Ich stelle vorsichtig einige von ihnen an die andere Wand. Sie sind schön,

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