Traeume ernten
das Relief, plaine, soubergue oder coteaux . Und schlieÃlich die culture en place â wie ist das Weinfeld beschaffen? Für mich ist es unmöglich, am kahlen Weinstock abzulesen, um welche Rebsorte es sich handelt. Nachdem sie sich viele Winter lang mit den Rebstöcken beschäftigt haben, sind sich die Jungs um mich herum jedoch sicher: Das ist natürlich eine Grenache. Die Rebstöcke sind ungefähr 50 Jahre alt. Ich zweifele keinen Moment daran, dass sie recht haben.
Dann steigen wir abwechselnd und zu zweit in den Graben, wo sich die Bodenschichten in deutlichen Bahnen und verschiedenen Farben abzeichnen. Die oberste Erdschicht ist nicht mehr als 20 Zentimeter dick und ziemlich dunkel. Humus, denke ich, und la seule matière organique stable . Darunter eine Schicht von ungefähr 50 Zentimetern, grau und körnig durchmischt mit unregelmäÃig wiederkehrenden Resten aus der obersten Schicht. »Défonçage« , sagt der junge Mann neben mir.
Ich stelle mir vor, wie sie in den Fünfzigerjahren das Weinfeld, das hier einmal war, gerodet haben. Die langen Enden des Pflugs wühlten die Erdschichten auf und vermischten sie miteinander, in 100 Jahren wird man es noch immer sehen. Ich kratze mit dem Nagel ein wenig Erde von der Wand vor mir und lege sie auf meine Handfläche. Mit dem Finger zermahle ich sie mit kreisenden Bewegungen. Die Erde fühlt sich weich an, wie Mehl. »Limoneux« , sage ich zu dem jungen Mann neben mir.
Ich kratze ein wenig Erde von den heller gefärbten Stellen. Die Erde fühlt sich noch immer recht mehlig an, aber enthält auch kleine scheuernde Stückchen. Wir bestimmen auch die anderen Erdschichten, betrachten dann die Wurzeln eines Rebstocks, der am Rand der Grube steht. Die Wurzeln verlaufen senkrecht nach unten, erst weitverzweigt, dann werden sie immer schmaler. In der untersten, kompakten, gelb-braunen Erdschicht wachsen die Wurzeln lediglich in dünnen Ausläufern horizontal weiter. Das ist ein Phänomen, das wir im Unterricht besprochen haben: Undurchdringliche Erdschichten hindern die Wurzeln daran, weiterzuwachsen. Hier, in diesem Fall ist das kein Problem, die Erde ist tief genug. Aber es gibt Legionen von Winzern, die sich Generation auf Generation gefragt haben, warum die Pflanzen auf einem bestimmten Weinfeld einfach nicht anwachsen wollten. Hätten sie ein paar Gräben ausgehoben, hätten sie es herausgefunden.
Die Umbauarbeiten am Haus gehen mir auf die Nerven. Sowohl Samper, der Architekt, als auch die Bauarbeiter scheinen zu dem Schluss gekommen zu sein, dass ich nicht richtig ticke. Sie behandeln mich mit einer müden Geduld wie das zurückgebliebene Nachbarsmädchen, dem man die Dinge ein wenig l-a-n-g-s-a-m-e-r erklären muss. Natürlich, da ist das Problem mit der Sprache. Ich kenne die französischen Wörter für Hohlwand, Innentür oder Eckfuge nicht. Ich suche ununterbrochen umständlich nach den richtigen Begriffen, drücke mich undeutlich aus â fünf Männer gegen eine stotternde Frau. Das gröÃte Problem aber ist die Inkompatibilität der Geschmäcker.
»Hören Sie«, wiederholt Samper nun schon zum vierten Mal, »die Schrankwände eingerechnet, benötigen wir 25 Türen. Wir sollten sie im Baumarkt besorgen.« Er wird langsam müde, die Wahrheit ist seiner Ansicht nach auf seiner Seite. Warum lässt diese Frau ihn nicht einfach den Bestellschein ausfüllen? Wir drehen uns seit einer Viertelstunde im Kreis. Ich sehe immer noch einen Funken Hoffnung in seinen Augen: Vielleicht gibt sie endlich nach. Eigentlich würde ich den armen Mann gerne von seinem Leiden erlösen und ihn zum Baumarkt ziehen lassen, aber dann denke ich wieder an die Hartfasertüren von Madame Ros und an die schöne Schrankwand in unserem Haus in Haarlem. »Nein«, sage ich daher, »ich bestehe auf alte Türen in diesem Haus.«
»Aber das ist nicht schön!«, ruft Samper, »und es ist unmöglich. Man bekommt keine passenden Leisten!«
»Die kann doch ein Schreiner anfertigen«, sage ich, »die Mauern sind noch offen, wir können das Maà selber bestimmen.«
Er seufzt. Verzweifelt zieht er seinen Trumpf aus dem Ãrmel: »Hören Sie, wir haben keine 25 alten Türen!« »Die finde ich schon«, sage ich schlieÃlich.
An diesem Wochenende ist Aad bei uns. »Haben wir endlich frei? Oder musst du noch die
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