Traeume ernten
mich neben ihn auf das Sofa, lege eine Hand auf sein Bein. »Erzähl, wie war die Woche?«, fordere ich ihn auf. Ich höre mir Geschichten über die Jean-Michels und Frédérics aus Paris an, über diese falschen, ehrgeizigen Männer, die auch ich sofort unsympathisch finde. Ich kann Aad gut verstehen, und wir überlegen gemeinsam, wie er die Situation verändern könnte. Noch während dieses mitfühlenden Gesprächs habe ich plötzlich das Gefühl, dass hier eine andere Seite von mir zum Vorschein kommt: das scheinbar nette Schulmädchen, das sich heimlich freut, weil seine beliebte Freundin auch mal Hilfe braucht. Nachts kuschele ich mich an Aad und genieÃe die Gewissheit, wieder gebraucht zu werden â eine Verbundenheit, die aus einem gemeinsamen Problem resultiert.
An diesem Morgen gehen wir gemeinsam in den Weinkeller. Aad ist wieder er selbst. Ich betrachte den groÃen, selbstbewussten Mann, während er kritisch die Fässer in Augenschein nimmt. »Nicht wirklich logisch, dass du den Grenache in Fass zwölf gefüllt hast«, sagt er. »Und guck mal, da in der Ecke, du musst den Wasserschlauch besser aufrollen.«
Vielleicht hat er recht, sicher hat er recht. Doch so wie schwarzer Tee das Wasser allmählich verfärbt, macht sich in meinem Kopf eine unausgesprochene Wut breit, und ich muss mich anstrengen, damit sie nicht nach auÃen dringt.
30 Kartons Wein, drei Kinder und zwei Erwachsene bewirken, dass Aads Mercedes tief auf der StraÃe liegt, als wir auf der rechten Spur der Autobahn am Meer entlangfahren, vorbei am Berg der Hafenstadt Sète. SchlieÃlich parken wir vor einem groÃen, langgestreckten Gebäude aus verwittertem Naturstein. Früher befand sich dort ein dunkler Keller, in dem tausende Hektoliter Landwein hergestellt wurden. Jetzt ist es ein wunderbar umgebauter Raum mit Holzschränken, Kronleuchtern und niedrigen schmiedeeisernen Tischen, auf denen hunderte Flaschen Wein ausgestellt sind. Der Besitzer ist ein groÃer, kräftiger Mann mit der Ausstrahlung eines deutschen Wirts und einem unerschütterlichen Selbstvertrauen. Mit ausgebreiteten Armen geht er auf Aad zu, auf Aad, den erfolgreichen Mann, denn er liebt den Erfolg. Ein höfliches Küsschen auf die Wange der Mutter und der Kinder, dann schnell zurück zum Familienoberhaupt: Was macht die Werbebranche? Wie läuft es mit dem Wein? Den Weingärten?
Aad gibt freudig Auskunft, erstattet detailliert Bericht, als ob er jeden Tag im Weinkeller schuften würde, und ich stehe daneben und denke, dass ich es nicht erfreulich finde, gemeinsam ein Weingut zu führen.
Es ist Sonntagmorgen. Die Kinder haben ihre Brote gegessen, jetzt sitzen sie in einem Meer von Legosteinen auf dem Boden. Aad und ich unterhalten uns. Ãber Paris. Ãber Amsterdam. »Von dieser ständigen Reiserei werde ich todmüde«, sagt Aad. »Freitags bin ich erst um ein Uhr nachts zu Hause, montags sitze ich um sechs schon wieder im Flieger.« Er möchte weniger arbeiten, er vermisst die Kinder. Und dann, zum ersten Mal, spricht er es aus: »Ich möchte zurück in die Niederlande.«
Am Nachmittag backt er mit Laartje Pfannkuchen. Ich betrachte den groÃen Mann und das kleine Mädchen. »Fast wie eine glückliche Familie«, denke ich.
Als er nach dem Essen Fahrrad fahren will, schlage ich vor mitzukommen. Ãberrascht schaut er mich an. Je spröder unsere Beziehung wird, desto gröÃere Strecken legt er mit dem Fahrrad zurück, wenn er auf dem Weingut ist. Immer alleine. Doch dieses Mal holen wir auch mein verstaubtes Fahrrad aus dem Schuppen und pflügen mühsam durch den Kies, bis wir den befestigten Weg erreichen. Schon beim ersten Hügel hinter dem Haus hat Aad einen deutlichen Vorsprung. Ich trete wie eine Wilde in die Pedale, aus dem unbegründeten Gefühl heraus, dass ich alles tun muss, um ihn einzuholen.
Völlig erschöpft erreiche ich den ersten Hügel, freue mich, dass ich das steile Stück bewältigt habe, ohne absteigen zu müssen. Ich betrachte die Landschaft vor mir. Wir sind noch keinen Kilometer von unserem Haus entfernt und doch in einer anderen Welt. Anstelle der Laubbäume sieht man auf einen grünen, eindrucksvollen Horizont hinaus, auf dessen ganzer Breite sich die dunklen, kaum bewachsenen Hügel der Montagne Noire ausdehnen. Auf der anderen Seite rasen wir den Hügel wieder hinunter,
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