Traeume ernten
die zwei Rotweine. Aad lässt die Werbetrommel jetzt im höchsten Gang laufen: phantastischer Abgang, der beste Weinhandel der Niederlande bietet ihn an, so und so viele Paletten seien verfügbar.
Der Mann schrumpft noch weiter zusammen, eine scheue Katze, die sich fast hätte streicheln lassen, sich dann doch auf den Boden drückt. »Könnten Sie mir Ihre Karte dalassen?«, frage ich schnell, bevor er endgültig weggleitet. Der Mann sucht in der Innentasche seines Jacketts, legt eine in Weià und Grün gehaltene Visitenkarte auf den Tisch und verschwindet, ein Rücken, der sich langsam in der Menge verliert. RegelmäÃig treibt Aad jetzt Männer an unseren Stand. Die Reaktionen auf den Wein sind ziemlich gut, das Wort »interessant« ist immer wieder zu hören. Zufrieden sortiere ich den langsam anwachsenden Stapel Visitenkarten. Es sollte kein Problem sein, die 3000 Euro wieder hereinzuholen.
»Ich bin jetzt seit 20 Jahren auf Weinmessen«, sagt eine müde Frau drei Tische weiter, die gemeinsam mit ihrem ein wenig verlebten Mann ein Weingut im Faugères betreibt. Ich sehe sie vor mir, wie sie zusammen Wein schneiden im kalten Nordwind. Die Ehe als Ausdauersport. Auch hier halten sie gemeinsam durch, stehen hinter ihrem Tischchen, ein staubiger Weinstock, der wohl auch schon viele Messen hinter sich hat, liegt als Dekoration neben ihren Flaschen. »Man kann nicht damit rechnen, dass es etwas bringt«, sagt sie, »es dauert immer ungefähr drei Jahre vom ersten Kontakt bis zur ersten Bestellung. Das ist einfach so.«
Ihr Nachbar, ein stämmiger Winzer aus Saint Chinian, kommt zu uns hinüber. »Oui, câest comme ça« , sagt er. Ein paar Jahre müsse man schon auf Messen gehen, um Kunden zu finden, und dann müsse man sich auf Messen sehen lassen, um sie zu halten.
Bei uns ist das anders, denke ich beschwörend, als ich kurze Zeit später auf der Toilette mein Haar hochstecke. Wir haben einen guten Wein, wir haben eine gute Ausstrahlung, wir sprechen verschiedene Sprachen. Ich schaue in den Spiegel und sehe vor meinem inneren Auge den durchgeknallten Manager eines Footballteams aus dem amerikanischen Dokumentarfilm, der vor ein paar Wochen lief. »Go tigers!«
Schweigend stelle ich mich wieder zu Aad hinter den Stand. »Ist noch jemand da gewesen?«, frage ich dann. Er schüttelt den Kopf. »Soll ich uns noch einen Kaffee holen?«
14
In einem kleinen Raum mit alten Computern arbeite ich an meiner Abschlussarbeit. Meine »Ãtude dâune Exploitation viti-vinicole« kostet mich mehr Energie als mein Universitätsabschluss. Es ist so schon schwierig genug, zu erläutern, wie ich das Weingut aus technischer Sicht neu strukturieren will, aber es ist noch viel schwieriger, das auf Französisch auszudrücken. Ich arbeite bis in die Nacht mit Rechenprogrammen, mit denen ich alle Investitionen und möglichen Einkünfte für die nächsten fünf Jahre berechne.
In den Abendstunden arbeite ich systematisch die Visitenkarten ab, die ich von der Weinmesse mitgebracht habe. Jeder bekommt eine Mail, die ich so persönlich wie möglich formuliere. Ich versuche an das Gespräch anzuknüpfen, das wir geführt haben, an den Wein, der der Person am besten gefallen hat. Von den wenigsten bekomme ich eine Antwort, aber von dem einen oder anderen doch, wie zum Beispiel von Jörg Georg, dem hippen Deutschen mit der auffallenden schwarzen Brille, der mit seinem Bruder eine Weinhandlung eröffnen möchte.
Ein kultivierter Herr aus Stolberg faxt eine erste Bestellung: zehn Kartons des teuersten Rotweins, 30 Kartons WeiÃen. Es gibt sogar einen unverhofften Glückstreffer: Ein Catering-Service aus Düsseldorf ordert einfach so eine ganze Palette im Wert von beinahe 4000 Euro. Erleichterung stellt sich bei uns ein, aber keine Euphorie.
Aad arbeitet noch immer für dieselbe Agentur, aber inzwischen in der Pariser Niederlassung. Das gibt mir das Gefühl, dass er näher bei uns ist, zumindest arbeiten wir im selben Land.
»Diese Franzosen machen mich wahnsinnig«, seufzt er, als wir an diesem Abend mit einem Glas Wein auf dem Sofa sitzen, »diese nervigen Hierarchien, ein Abteilungsleiter, der mir überhaupt keine Freiheiten lässt. Ich habe das Gefühl, wieder ganz von vorne anzufangen.«
»Ach, Liebling«, sage ich, während ich ihm noch ein Glas Wein einschenke. Ich setze
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