Traeume ernten
blickten. Es geht dabei um das Recht des Stärkeren.
»Was ist es hier doch schön«, sagt Aad, als er an diesem Wochenende über den Bauschutt steigt. Da steht er, der zufriedene Eigentümer. Ich betrachte seine teure Sonnenbrille und die Schuhe mit den glatten Sohlen und dann meine alte Weste und die schlammigen Stiefel â ein AuÃenstehender würde kaum Gemeinsamkeiten feststellen.
Am Frühstückstisch lese ich einen Artikel, den Aad für eine niederländische Zeitschrift geschrieben hat. »Château Kuijper« heiÃt seine feste Rubrik. Leicht und voller Begeisterung schreibt er über seine mit Wein befleckten Hände, über die Anmut des Bauernlebens. Ich bin verbittert und fühle mich auf eine kindliche Art ausgeschlossen. Der Weinhandel »Okhuysen« druckt in einem Kundenmagazin auch einen langen Text über »Aad und seine Damen«. Es ist ein gut geschriebener, wohlwollender Text, und dennoch machen mich Sätze wie dieser wütend: »⦠bedankt er sich bei seiner Frau Lidewij und den drei kleinen Töchtern, die immer mit anpackten und auch in schwierigen Momenten hinter ihm standen.«
»Mithalfen â¦Â«, grummele ich. »Egal, was ich tue â mein Platz ist bereits festgelegt: Ich stehe auf derselben Ebene wie ein Baby und zwei Schulkinder.«
In der Schule sind von 24 angehenden Winzern aus dem ersten Jahr noch neun übriggeblieben. Die semi-akademischen Unterrichtsstunden von Domergue und der detaillierte Kurs in Buchhaltung haben die überforderten Bauernsöhne einen nach dem anderen verjagt â mit einem Grüppchen Ãberlebender besuchen wir heute die Weingüter in der Umgebung.
» Macération carbonique ist eine sehr gute Methode, um die Rebsorte Carignan zu verarbeiten«, sagt der Winzer in Saint Chinian. Kohlensäuremaischung also! Ich notiere das Gehörte eifrig in mein Notizbuch.
»Alles nur keine Kohlensäuremaischung«, sagt ein anderer Winzer ein paar Tage später, »der Wein wird so übertrieben fruchtig, hat keinen Charakter. Die klassische Weinherstellung ist viel besser.« Ich notiere auch das.
»Man muss den Wein häufig umpumpen, um so viel Geschmack wie möglich aus den Trauben zu holen«, sagt wieder ein anderer Winzer. »Gerade nicht«, sagt der vierte, »je häufiger man umpumpt, desto härter werden die Tannine.«
Winzer X plädiert für eine Gärung in Holzfässern, der nächste sagt, dass nichts besser sei als Beton. Eine pneumatische Presse müsse man haben. Nein, gerade nicht, nichts gehe über die alte vertikale Presse mit einem Holzbrett. Mit einer seltsamen Mischung aus Zufriedenheit und Unruhe komme ich zu dem Ergebnis, dass das Thema Weinherstellung noch lange nicht abgehandelt ist.
An diesem Samstag arbeiten Aad und ich mit Xavier Billet an der neuen assemblage , der richtigen Mischung der verschiedenen Weinsorten. Aus allen Fässern haben wir kleine Flaschen abgezapft, die jetzt aufgereiht vor uns auf dem Tisch stehen. Syrah, Fass sieben, 60 Hektoliter; Grenache, Fass vier, 50 Hektoliter; Carignan, Fass zwölf, 40 Hektoliter; neun Flaschen insgesamt. Wir haben auch den Wein vom Vorjahr dazugestellt, an dem wir konzentriert riechen und ihn dann probieren. In der letzten Zeit habe ich viele Weine von anderen Weingütern aus der Umgebung verkostet â manchmal mit der Schule, manchmal an den Wochenenden mit Aad. Zu meiner Ãberraschung waren sie häufig sehr simpel, zu viel Alkohol, ein Geschmack wie gekochte Früchte.
Vorsichtig probieren wir die Weine, die vor uns stehen. »Sie schmecken frischer, weniger schwer als viele andere Weine aus der Region«, sage ich zu Xavier, »wie kommt das?« Er betrachtet seine Analysen: »Der Säuregrad ist sehr gut«, sagt er, »das sind keine von der Sonne ausgedörrten Trauben. Ihr habt offensichtlich genügend Wasser im Boden, da könnt ihr euch wirklich glücklich schätzen.«
Dann stellt er aus den Weinen auf dem Tisch verschiedene assemblages her, ohne dass Aad und ich seine Auswahl sehen. Es ist unglaublich, dass fünf Prozent mehr oder weniger von einer bestimmten Rebsorte ein völlig anderes Resultat ergeben. SchlieÃlich stehen sechs Flaschen vor uns, von denen wir nicht wissen, welche Mischung sie enthalten. Unabhängig voneinander probieren wir sie, machen uns Notizen und vergleichen unsere Ergebnisse miteinander. Nach zwei
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