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Traeume ernten

Traeume ernten

Titel: Traeume ernten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lidewij van Wilgen
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verkosten zu lassen. Sie selbst wohnt in Paris, hat eine Top-Funktion in der Finanzwelt, aber alle zwei Wochen reist sie in die Provence, um auf dem Weingut mitzuhelfen. Ich verbringe in den kommenden Tagen viel Zeit mit ihr. Anne ist die erste Französin, mit der ich wie mit einer niederländischen Freundin spreche.
    Am nächsten Tag strömen Menschen aus dem Gastgewerbe in die Halle. Ein paar junge Männer begrüßen Aad wie einen alten Freund. Unser Wein steht auf ihrer Karte, und Aad isst regelmäßig in ihrem Restaurant. Sie tauschen Erinnerungen aus, Geschichten über Menschen, die ich nicht kenne, über eine Welt, an der ich keinen Anteil habe. Ich freue mich, dass ihnen die Weine zusagen, bin froh, dass Aad nette Menschen kennt – aber auch überrascht. Überrascht darüber, dass ich das nicht früher bemerkt habe: Ich bin nicht die Einzige, die sich ein neues Leben aufgebaut hat.
    Ich reise alleine zurück zum Weingut. Als der Morgen sich seinem Ende zuneigt und die Sonne durchbricht, gehe ich zu Bruno in die Weinfelder, wo wir gemeinsam einen Teil des Carignan hinter dem Haus schneiden – er mit seiner Akku-Schere, ich mit einer großen orangen Rebschere. Er ist schneller als ich und kommt ab und zu in meine Reihe hinüber, um ein paar Stöcke zu bearbeiten. Meine Reflexe vom vergangenen Winter funktionieren noch einwandfrei – es ist wie Fahrrad fahren oder Schlittschuh laufen, ein Automatismus, den man nie verlernt. Bei jedem Rebstock überlege ich, welche Triebe stehen bleiben sollen, den Rest entferne ich, und schneide sorgfältig auch die toten Reste weg, dann gehe ich weiter zum nächsten Weinstock.
    Ãœberall stehen plumettes in den Weinfeldern, ein hohes Gras mit flauschigen weißen Blüten. Eigentlich hatte Bruno versprochen es auszureißen, aber überall zeichnet sich der weiße Flaum noch von der roten Erde ab. Ich schlage vor, dass sich jeder eine Reihe vornimmt und links und rechts die Gräser ausrupft, die noch zwischen den Rebstöcken stehen. Sie lassen sich leicht aus der körnigen Erde entfernen, aber Bruno ächzt jedes Mal, wenn er sich bücken muss. Am Ende der Reihe ist sein Gesicht leuchtend rot, und Schweißtropfen laufen über seine Wangen. Auch für einen jungen Mann von 28 Jahren ist ein Übergewicht von 40 Kilo eine Menge. Also beschließe ich, das Projekt zu beenden, und träume das erste Mal von einem Intercep, einem Gerät, das man zur maschinellen Entfernung des Unkrauts seitlich am Traktor befestigen kann.
    Wir schneiden weiter, Weinstock für Weinstock für Weinstock. Ich beobachte Bruno, wie er sich langsam in der Reihe vorarbeitet, ernst und völlig natürlich. Ich dagegen mache mir ständig Gedanken: Ich bin hier, aber gleichzeitig in meinem Büro, ich denke an eine Rechnung, die ich hätte bezahlen müssen, eine Mail, die beantwortet werden will, an die Mädchen, die neue Schuhe brauchen, die Unordnung im Haus. Wir schneiden weiter, bis zum Ende der Reihe. Bruno steckt sich eine Zigarette an, zufrieden betrachtet er das Stück, das hinter uns liegt. Dann biegen wir um die Ecke, fangen mit einer neuen Reihe an. Weinstock für Weinstock für Weinstock. Ich denke an meine Ehe, daran, dass wir weggehen müssen, an Miriam und Annemiek, an Simone, an Rex, an Carla, an ein paar weitere Mails, und schließlich frage ich mich: Ist diese Eintönigkeit wirklich etwas für mich? Ist es wirklich das, was ich will? Stunde um Stunde die Rebstöcke schneiden? Monat für Monat?
    Aad ist zufrieden an diesem Wochenende, hatte ruhig arbeiten können, nachdem ich ihm versprochen hatte, in die Niederlande zurückzukommen. Nach der Messe bei »Okhuysen« hatten wir uns in Bloemendaal eine Gegend angeschaut, in der wir wohnen könnten – mit Häusern aus dem 19. Jahrhundert, genauso wie damals in Haarlem, nur großzügiger und mit weitläufigeren Gärten. Wir hatten eine Schule am Rande der Dünen besucht, hatten dort mit dem freundlichen Direktor gesprochen, der uns wohlwollend auf die Warteliste gesetzt hatte. Ich hatte die Mädchen vor meinem inneren Auge gesehen, wie sie alleine mit dem Fahrrad zu dieser schönen Schule radeln würden, und zu Freundinnen, zu Vereinen in der Nähe. Aad würde morgens zur Arbeit gehen wie ein ganz normaler Familienvater, ich würde freiberuflich oder wieder für eine Agentur arbeiten, vielleicht

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