Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Traeume ernten

Traeume ernten

Titel: Traeume ernten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lidewij van Wilgen
Vom Netzwerk:
über die Ufer, und das Wasser ergießt sich über die Brücke aus verschlissenem Beton. Im Frühling sind die Ufer mit wilder Minze bewachsen, und das Wasser brodelt, so viele sich kringelnde Kaulquappen sind dann darin zu finden. Ich gehe die Böschung hinunter zu unserem Weinfeld, auf dem der alte Carignan steht. Das Licht der tiefstehenden Sonne taucht die gerade geschnittenen Weinstöcke in einen sanften Glanz. Die Blätter auf dem Boden verfärben sich orange und hellgelb, manche knirschen schon unter meinen Füßen. Ich folge der Reihe nach oben, begutachte den Rebschnitt, laufe dann langsam auf der anderen Seite wieder nach unten.
    Während ich an dem wilden Feld entlanggehe, habe ich auf einmal das Gefühl, hinter mir einen warmen Atem zu spüren. Irgendetwas ist dort. Ich drehe mich ruckartig zur Tür des Häuschens um und blicke in zwei weit aufgerissene blaue Augen. Noch bevor ich sicher sein kann, dass es sich tatsächlich um Augen handelt, um einen Menschen, ist die Tür wieder zugezogen worden. Kurz bleibe ich stehen, weiß nicht, was ich tun soll. Dann eile ich weiter, höre, wie die Tür hinter mir wieder geöffnet wird. Ich traue mich nicht, mich umzuschauen, werde noch schneller, weiß ganz genau, wie alleine ich gerade bin.
    Â»Das Häuschen beim Carignan? Ich weiß es nicht.« Bruno sitzt mir gegenüber am Esstisch, ihn beschäftigt etwas ganz anderes. Um seine Lippen spielt ein unbestimmtes Lächeln, sein Blick ist auf eine Welt gerichtet, die nur er sehen kann. »Des cèpes …« , sagt er, beinahe schmatzend lässt er das Wort über den Gaumen wandern. » Des cèpes , Steinpilze, es gibt unglaublich viele dieses Jahr.« Glücklich starrt er ins Leere. »Ein großer Wald mit hohen Pinien. Noch bevor die Sonne aufgeht, bin ich da, überall Pilze, noch nass vom Morgentau.« Erstaunt schaue ich ihn an. »Ich knie dort«, fährt er fort, »tschak, mit einem geraden Schnitt trenne ich sie von ihrer Wurzel, und hopp, ab in meinen Korb.« Er schaut zufrieden aus: »Fünf Kilo am Tag. Gestern war ein riesengroßer dabei, sicher 25 Zentimeter hoch, unglaublich, dass niemand ihn gesehen hat.«
    Â»Ich liebe Pilze!«, sage ich. »Ich würde auch gerne mit den Kindern in den Wald gehen. Erzähl, wo ist es?«
    Â»Ah mais non!« Als wäre eine Tür zugeschlagen worden, verschwindet der verträumte Ausdruck von seinem Gesicht. »Was glauben Sie denn!«, sagt er, »das ist ein Geheimnis. Selbst meine Mutter weiß nicht, wo ich meine cèpes hole.« Er rutscht auf seinem Stuhl hin und her, dann richtet er sich auf. »Ich hab da meine eigene Taktik«, sagt er, »man darf niemals im Wald parken, man muss sein Auto ein gutes Stück entfernt abstellen.«
    Ich sehe Bruno vor mir, wie er zu den Pilzen geht, wie er sich freiwillig bewegt, vielleicht sogar voller Energie. »Manchmal muss ich eine Stunde laufen, bevor ich an der richtigen Stelle bin«, sagt er, »und dann sammele ich sie ein. Ich weiß genau, wo ich suchen muss.« Manchmal trifft er auf irgendeinen Idioten, der sich doch tatsächlich denselben Wald ausgesucht hat. »Manchmal lasse ich ihn«, sagt er, »aber manchmal kommt es auch zum Kampf.«
    Ich stelle mir vor, wie sie mit ihren hübschen Flechtkörben aufeinander losgehen. »Die Chinesen sind am schlimmsten«, sagt Bruno, »die kommen nachts, mit Taschenlampen, und durchkämmen den Wald in langen Reihen. Sie haben keine Messer, sondern Schaufeln.« Chinesische Schaufeln, die die französische Erde durchwühlen, er wird verrückt, wenn er nur daran denkt. »Und das geht dann alles in die chinesischen Restaurants«, schnaubt er.
    Interessante Vorstellung, diese Horden Chinesen zwischen den Pinien.
    Vier Tage später – Aad ist wieder bei uns. Am Samstagabend essen wir in einem Restaurant, das von einem ambitionierten Engländer umgebaut wurde. Der hohe Raum, ein ehemaliger Weinkeller, ist mit einem glänzenden Betonboden ausgegossen worden. An den Wänden befinden sich hohe Metallkonstruktionen, die die alten Deckenbalken unterstützen, und auf den runden Tischen liegen leuchtend weiße Leinendecken. Das Personal scheint auf ein etwas höheres Besucheraufkommen ausgelegt zu sein. Ein knochiger Hotelfachschüler hängt mit drei seiner Klassenkameraden ein wenig lustlos an unserem Tisch herum,

Weitere Kostenlose Bücher