Traeume ernten
für einen Verlag. An den Wochenenden könnten wir am Strand entlangspazieren. Vielleicht würden wir uns einen Hund anschaffen. In diesem Augenblick fühlte sich ein solches Leben angenehm und komfortabel an, und ich freute mich sogar darauf.
Jetzt aber steht ein junger, begeisterter Makler auf unserem Weingut und neben ihm ein kleiner, wohlgenährter Mann, Herr Rasmussen. Er ist Mitte 60, kommt aus Dänemark und sucht ein Weingut als Investitionsobjekt. Zufrieden hat er die Hände in die Seiten gestemmt und betrachtet die Fassade des Hauses: »Yes, yes, this looks good.«
Ich zeige ihm das Wohnzimmer mit der hohen Natursteinmauer, die ganz in Holz gehaltene Küche, das Esszimmer mit dem groÃen Tisch und den violetten Stühlen der Marke Gispen. Er läuft durch die Schlafzimmer der Mädchen, lehnt sich auf den doppelten Waschtisch aus Naturstein, schaut sich die schweren Chrom-Armaturen an. »Very good« , sagt Herr Rasmussen und schnalzt mit der Zunge, »up to Northern European standards.«
Und dann geht es in die Weinfelder. Stöhnend und ächzend läuft er mit uns durch das groÃe Feld mit dem Syrah, an körperliche Tätigkeiten scheint er nicht gewöhnt zu sein. Der Makler rattert seine Verkaufsgeschichte herunter: hochwertiges Spalier-System mit verzinkten Pflanzpfählen und doppeltem Drahtrahmen, Rebstöcke fehlen kaum, ausgezeichnete Lage. Ich denke daran, wie ich hier mit Bruno gearbeitet habe. Das Holz ist dieses Jahr dicker, gesünder, ich schaue mir die Schnittflächen des letzten Schnitts an, wunderbar weiÃ, keine braunen Flecken oder UnregelmäÃigkeiten, die auf Krankheiten hinweisen würden. Ich laufe durch die Reihen, erkenne jeden Rebstock wieder: Der dort an der Ecke war beinahe abgestorben, aber wir haben ihn von unten her wieder herangezogen. Und jetzt â wie schön wird er im Frühjahr aussehen! Ich blicke zu den Hügeln in der Ferne, merke, wie vertraut mir ihre Umrisse sind.
»Lidewij!« Aad steht neben dem Makler und einem ungeduldigen Dänen. »Okay, enough vineyards!« , sagt der gerade. »Ich möchte die Terrassen sehen. The places to receive my guests! «
Plötzlich überwältigt mich die Gewissheit: Niemals wird er es bekommen, unser Weingut.
Am Wochenende darauf sieht Aad sehr zufrieden aus, als er das Telefon weglegt. »Gute Neuigkeiten«, sagt er. »Der Däne hat ein Angebot gemacht. Ein sehr gutes Angebot. Er will den Preis bezahlen, den wir verlangen.«
Ich verschlucke mich an der aufsteigenden Panik wie an einem Schluck zu heiÃen Tees. »Aber, aber«, stammele ich, »wir werden es doch nicht an ihn verkaufen?!«
»Warum nicht?«, sagt Aad, »ein besseres Angebot bekommen wir nicht.«
»Aber â¦Â« Ich suche nach Worten. Ich habe so viel nachgedacht in der letzten Zeit, und jetzt weià ich trotzdem nicht, was ich sagen soll. Ja, ich möchte meine Ehe retten. Ja, ich möchte mich für Aad entscheiden â wenn da nicht dieser letzte Schritt wäre, das Weingut aufzugeben, Frankreich aufzugeben â ich merke, wie sich jede Faser in mir dagegen wehrt. Aad schaut mich an, eine unglaubliche Müdigkeit liegt in seinem Blick.
»Okay«, sagt er, »dann bleiben wir. Aber dann will ich auch nicht mehr hören, wie schwierig es ist, alleine zu sein. Von jetzt an ist es deine eigene Entscheidung.«
Dankbar stürze ich mich auf den Knochen, der mir zugeworfen wird, aber als ich zufrieden daran knabbern möchte, fühle ich, wie sich etwas kalt in meiner Brust zusammenzieht. Was mache ich hier eigentlich gerade?
15
Am Rande unseres am weitesten entfernen Weingartens liegt ein verwildertes Feld mit hohen Sträuchern, auf dem ein kleines Häuschen steht. Es ist aus Steinen errichtet, das Dach ist mit orangen Dachpfannen gedeckt, und die dunkle Tür hängt schief in den Angeln. Mit seinen zwei Mal drei Metern Grundfläche und dem relativ hohen Dach wirkt es wie ein altes Toilettenhäuschen in etwas luxuriöserer Ausführung. Einmal habe ich mit den Mädchen die Tür aufgedrückt, aber nichts weiter entdeckt als einen Stapel vertrockneter Weinstöcke und einen alten verrosteten Pflug.
Jetzt folge ich dem schmalen Pfad am Rande des Feldes. Unter den hohen Bäumen flieÃt ein Bach, der sich in den Fels eingegraben hat. Im Winter, wenn das Schmelzwasser aus den Bergen nach unten strömt, tritt er
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