Traeume ernten
â nur zu zweit â Weihnachtsgefühle aufkommen zu lassen.
Eine Gruppe Kinder betritt zögernd die Bühne und stellt sich in einer Reihe auf, wo sie angetrieben von der wild dirigierenden Lehrerin Weihnachtslieder zu Gehör bringen. Marijn und Fiene genieÃen das Schauspiel genauso gespannt und voller Begeisterung, wie Kinder in den Niederlanden eine besser gestaltete Vorstellung genieÃen würden.
»Tâas vu, il y a Lucy!« , flüstert Fiene, stolz darauf, eine Sängerin zu kennen.
»Ah oui, et Guillaume!« , sagt Marijn.
Langsam steigt die Spannung, der Höhepunkt des Abends steht bevor: »Lâarrivée de Père Noël!« »Im Dorf ist der Weihnachtsmann schon gesehen worden«, sagt der Schuldirektor.
»Vielleicht findet er den Saal nicht?«, sagt eine aufgeregte Lehrerin. Gott sei Dank, da kommt er! Begleitet von begeistertem Kindergeschnatter geht der Weihnachtsmann den Mittelgang hinunter: Père Noël , ein dünner, groÃer Mann in einer roten Synthetikjacke mit einem schmalen Fellrand. Er trägt Schuhe aus Hartplastik und etwas, das einen Bart darstellen soll â das dünne Läppchen Watte weht beim Laufen zur Seite. Ich sehe eine schlecht rasierte Wange und das hellbraune Gummiband, das an seinen Ohren befestigt ist.
Fiene schaut mich besorgt an: »Ist das wirklich der echte Père Noë l ?« Es ist noch keine zwei Jahre her, da kam Sinterklaas zu uns nach Hause, der niederländische Nikolaus. Ein freundlicher Niederländer hatte ein bleischweres Ensemble aus dem Kostümverleih in Amsterdam angezogen, die Leihgebühr hatte ein Vermögen gekostet und nur das Ankleben des Bartes mehr als eine Stunde gedauert. In Murviel verlässt man sich dagegen auf die kindliche Phantasie, die Umrisse müssen genügen, das Kind denkt sich den Rest.
Von der anderen Seite beugt sich Marijn zu mir herüber. »Mama?!«, fragt sie zweifelnd. »Das ist ein Aushilfsweihnachtsmann«, antworte ich wenig überzeugend.
Dann werden die Kinder einzeln aufgerufen, und der kommunistische Bürgermeister überreicht jedem in der besten Absicht ein pädagogisch wertvolles Bilderbuch. Immerhin â letztes Jahr war es eine Plastik-Babypuppe mit einem schrecklich unechten Gesicht.
Vor der Bühne stehen Eltern, die diesen Höhepunkt im Leben ihres Kindes und der Familie mit billigen Fotoapparaten festhalten. Plötzlich entdecke ich in einer Ecke eine ungewöhnliche Erscheinung, dort steht eine Frau mit braunen Locken und einer geschmackvollen Jacke, die doch tatsächlich eine Spiegelreflexkamera in der Hand hält â nicht gerade das typische Attribut für eine Mutter aus Murviel. Interessiert verfolge ich ihre Bewegungen. Ich gehe zu ihr, sobald die Vorführung beendet ist. »Sind Sie neu hier im Dorf?«, frage ich.
Joyce ist Architektin und kommt aus Paris. Seit ein paar Wochen wohnt sie in einem groÃen alten Haus an der HauptstraÃe. »Wie schön!«, sage ich, während ich sie gut gelaunt betrachte. »Ich habe ein Weingut in der Nähe des Dorfs. Trinken Sie nächste Woche einen Wein bei mir?«
In der Post liegt ein groÃer brauner Umschlag. Mein Diplom ist auf schwerem cremefarbenem Papier gedruckt, und ich denke kurz darüber nach, es zu rahmen. Neben dem Titel »Chef de lâExploitation agricole« verleiht der französische Staat mir auch den Status eines »Jeune Agriculteur«, eines Jungen Landwirts, nun ja, hierdurch habe ich Anspruch auf eine Minderung der Sozialabgaben und auf verschiedene Subventionen. Das alles macht mich überaus zufrieden.
»Ich habe eine Entscheidung getroffen«, sagt Aad an diesem Wochenende, »ich möchte eine eigene Firma aufbauen â eine Werbeagentur in Amsterdam.« Seit ein paar Wochen arbeitet er nicht mehr in Paris. Ich hatte gedacht, dass er freiberuflich weiterarbeiten, vielleicht ein paar Projekte übernehmen würde, um dann endgültig nach Frankreich zu kommen. Wie hatte ich das nur glauben können? Vor Schreck fällt es mir schwer zu atmen.
»Eine eigene Firma?«, piepse ich. »Aber wir haben doch schon einen eigenen Betrieb. Einen gemeinsamen Betrieb. Mas des Dames .« Aad erläutert seine Pläne â in den Niederlanden kann er so viel mehr verdienen.
»Aber wenn du das tust, geht unsere Beziehung kaputt!«, rufe ich fast panisch.
»Was erwartest du denn? Dass ich
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