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Traeume ernten

Traeume ernten

Titel: Traeume ernten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lidewij van Wilgen
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konnte«, seufzt er, »eigentlich bin ich schon jahrelang völlig alleine.« Kurz frage ich mich, was das in Sachen Freundin bedeutet, frage aber nicht nach.
    Endlich sind wir mit dem Essen fertig, auch mit dem Nachtisch, der altmodischen dame blanche , die er bestellt hat. Als wir das Restaurant verlassen, fühle ich mich noch immer unbehaglich in meiner Haut, er wohl auch. Es ist eine lauwarme Nacht, ein großer Vollmond spiegelt sich im Wasser des Brunnens. Kurz stehen wir uns unentschlossen gegenüber. Dann nehme ich, ohne nachzudenken, seine Hand: »Lass uns noch ein Stückchen gehen.« Er lacht mich an, folgt mir.
    Â»Ich dachte, dass es für Niederländer normal ist, jemand anderen einfach so an der Hand zu nehmen«, wird er später sagen.
    Wir schlendern durch eine schmale Straße, kommen an einen kleinen Fluss. Der Mond ist übertrieben schön, alles funkelt, ist überzogen von einem weichen gelben Licht. Auf einer Brücke zieht er mich vorsichtig an sich und küsst mich auf den Mund. Alle Energie in meinem Körper zieht sich in einem Punkt zusammen. Etwas Warmes explodiert in meiner Brust. Er befreit sich wieder, mit einer Mischung aus Erstaunen und Genuss schaut er mich an: »Ich hätte nicht gedacht, dass ich je wieder eine andere Frau küssen würde.«
    Ich nicke, lache, fühle, wie die Wärme seiner Hand sich in meinem ganzen Körper fortsetzt. Auf der anderen Seite des Wassers laufen wir weiter, bleiben alle paar Meter stehen, küssen uns sanft und wie selbstverständlich, genau wie vorhin.
    Als wir zurück in seinen Weinbergen sind, brauche ich einige Zeit, bis ich in meinen Wagen steigen kann. Er kommt auf mich zu, küsst mich durch das offene Fenster, zieht sich dann langsam zurück. Die kleinen Steinchen knirschen, als ich zurück zum Ausgang fahre. Ich schaue mich um. Dort steht er im Mondlicht, das Weiß seines Hemdes leuchtet auf dem Braun seiner Haut. Seine Augen scheinen zu strahlen, sein breites Lachen ist ein einziges Versprechen.

19
    Simone läuft unruhig um mich herum. »Beeil dich doch, Kind, du weißt doch, wie es mit diesen Charterflügen ist, man muss pünktlich sein!« Ich weiß, dass ich bereits eine Viertelstunde zu spät bin, aber ich will auf alle Fälle noch ein paar zusätzliche Broschüren mitnehmen. Ich suche auch das Fotoalbum, jedes Mittel ist recht, um einen guten Eindruck bei dem angesehensten Weinhandel Londons zu hinterlassen. Es ist ausschließlich der Journalistin Rosemary George zu verdanken, dass »Berry Bros & Rudd« mich empfangen will. Normalerweise beschränkt ihre zurückhaltende Aufmerksamkeit sich auf die Premier Crus dieser Welt – Bordeaux, Burgund, Champagne –, ein unbekanntes kleines Weingut im Languedoc ist höchstens eine Randnotiz.
    Glücklicherweise ist es nach Carcassonne nicht so weit, wie ich gedacht hatte. Hinter dem Check-in-Schalter sitzt ein blasses englisches Mädchen mit dünnem blondem Haar, das verärgert reagiert, als ich ihr sage, dass ich meinen kleinen Koffer einchecken will. »Warum nehmen Sie ihn nicht mit ins Flugzeug?«
    Â»Weil er Flaschen enthält«, sage ich vorsichtig. »Haben Sie vielleicht Aufkleber, um ihn als zerbrechlich zu kennzeichnen?« Was für eine Frage, natürlich nicht. Unruhig sehe ich den Koffer durch die Plastikklappe gleiten, auf dem Weg zu den großen, starken Jungs, die sicher nicht zärtlich mit ihm umgehen werden.
    Im Warteraum treffe ich auf eine Monokultur von Briten im fortgeschrittenen Alter. »Normalerweise komme ich hier nicht oft hin«, sagt ein älterer Herr in einem Tweed-Jäckchen, während seine Frau, mit grauen Haaren und Perlenkette, mich argwöhnisch beobachtet. »Ich stehe immer oben in der Ankunftshalle«, redet der Mann fröhlich weiter, »und warte auf meine Gäste. Wir haben oft Gäste, wir haben nämlich ein Haus hier.« Kurz hält er inne, um mir Zeit zu geben, seine Mitteilung zu verarbeiten. »Und Sie«, fragt er dann freundlich, »Sie machen hier Urlaub, nehme ich an!?«
    Â»Hm, nein, ich habe ein Weingut in der Nähe von Béziers«, sage ich. Er wirkt beinahe schockiert. Das war eindeutig die falsche Antwort. »Oh really?« , sagt er, »Sie leben dort?«
    Verstehe, es geht um die Hierarchie unter den Rentnern im Ausland. Wer ein eigenes Haus hat, steht über dem normalen Touristen, und

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