Traeume ernten
geraucht? Geschluckt? »St. Jamesâs Street!!«, sage ich immer und immer wieder. »Im Zentrum! In der Nähe vom Buckingham Palace!«
Nach längerem Schweigen erhebt sich ein dunkelhäutiger Inder aus einem verfilzten Stuhl. »Kommen Sie mit mir. Ich bin Ihnen zugewiesen.« Es ist Viertel nach sechs, verzweifelt laufe ich hinter ihm her zu einer dunklen Garage. »Stand here!« , sagt er streng. Ich erstarre in der befohlenen Haltung. Ich finde alles okay, wenn ich nur ans Ziel komme.
Nach einigen Minuten fährt er in einem alten, grauen Pkw ohne erkennbares Taxischild vor. Gehetzt steige ich ein, meinen Koffer lege ich neben mich auf die Rückbank.
Der Mann holt in aller Ruhe einen Stadtplan hervor, den er entspannt durchblättert. »Gott â¦Â«, sagt er, »wissen Sie, dass es ungefähr zehn St. Jamesâs Streets in London gibt? ⦠Das ist ziemlich viel. Die Frage ist nun ⦠in welche wollen Sie?«
»Ins Zentrum! Buckingham Palace!!«, schreie ich jetzt beinahe.
»Ich kann Sie dorthin bringen«, sagt er, »aber es ist eine gute Stunde von hier aus, vielleicht mehr, bei all den Staus.« Ich habe das Gefühl, verrückt zu werden. Jetzt ist es beinahe halb sieben, ich bin mehr als eine dreiviertel Stunde zu spät. »Aber ich habe es eilig ⦠ich habe einen Termin â¦Â«, japse ich. Ich könnte heulen.
»I will help you!« , sagt der Mann auf einmal entschlossen. »Ich bringe Sie zur nächsten Haltestelle der Piccadilly Line. Von dort aus ist es keine halbe Stunde. You are happy now? Yes? Are you happy??« Na ja, nicht wirklich happy, sage ich, aber doch schon viel happier als noch gerade eben.
In Green Park tauche ich wieder auf und lande in einer anderen Welt â breite StraÃen mit majestätischen Häusern, gut gekleidete Menschen und unüberschaubare Reihen schwarzer Stadttaxis.
Ich habe Simon Field am Telefon. »Sehen Sie das âºRitzâ¹ vor sich?«, fragt er. Ich stehe vor einem groÃen Gebäude aus dem 19. Jahrhundert mit einer Galerie und Festbeleuchtung. Ist es das Ritz? Ja, Gott sei Dank. Ich folge den Anweisungen der zuvorkommenden britischen Stimme an meinem Ohr, und fünf Minuten später bin ich da: St. Jamesâs Street 3. Ein schönes, altes Ladengeschäft mit dunkelgrünen Bogenfenstern mit Holzsprossen. »Berry Bros & Rudd. Winemerchants« steht in goldenen Buchstaben auf der mittleren Tür â ich sehe Mr. Scrooge vor mir, »A Christmas Carol«, irgendwas von Dickens jedenfalls.
Eine junge Frau führt mich über eine Gasse zu einem wunderbar restaurierten Innenhof und von dort aus in ein Zimmer, in dem mich eine freundliche Dame im Kostüm bittet, an einem polierten antiken Tisch zu warten. So habe ich ein wenig Zeit, meine Umgebung auf mich wirken zu lassen: Die Wände mit ihrer sanft glänzenden Vertäfelung aus dunklem Eichenholz sind mit Stichen und Porträts aus dem 17. und 18. Jahrhundert bedeckt. Im Kamin brennt ein unechtes Feuer, dessen Licht sich in einer Sammlung antiker Karaffen spiegelt. Alles atmet eine Zeitlosigkeit und Selbstverständlichkeit, die mich sofort alle Entbehrungen des vergangenen Tages vergessen lässt.
Dann betritt ein blonder Mann mit lichtem Haar den Raum. Er trägt einen ordentlichen Anzug und stellt sich überaus korrekt vor: Simon Field. Jünger, als ich gedacht hatte. Umständlich entschuldigt er sich dafür, dass ich das Geschäft so schlecht habe finden können, er hätte es mir besser erklären müssen, so very very sorry ist er für die inconvenience . Selbstverständlich ist das meine Schuld, eine Tatsache, an der auch er keinen Augenblick zweifeln wird. Aber seine Galanterie passt in die Umgebung. Zufrieden erhebe ich ein paar angemessene Einwände, ein schönes Spiel.
Kurz entschuldigt er sich, dann kommt er mit zwei hohen Champagnergläsern zurück. Jetzt finde ich ihn erst recht sympathisch. Zufrieden nippe ich an meinem Glas und lausche seinen Erläuterungen zu »Berry Bros.«, einem Unternehmen, das sich schon seit 1698 in diesem Gebäude befindet. Es vertritt die groÃen Bordeaux-, Burgunder- und Champagner-Häuser und hat nicht viel mit dem Languedoc zu tun. »Sie sind doch nicht extra meinetwegen hier?«, fragt er besorgt.
»Nein, natürlich nicht«, sage ich mit gespielter Leichtigkeit. Dann führt mich Simon Field herum â
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