Träume in Kristall
sich hin, und wie er dabei den Korridor zurückging, stand da ein Mann, der ihn freundlich grüßte. Zwar wußte er einen Augenblick lang nicht, wer das sein könnte, aber der Mann, schrecklich erregt, meinte zu ihm: »Sie ist eben doch gut. Wenn man sie wie hier neben so vielen anderen tanzen läßt, wird einem erst klar, was gut ist an Chikako.«
Und da erinnerte er sich: es war jener Musiker, der Chikako geheiratet hatte.
»Wie steht es denn nun?«
»Ach, ich dachte, gehst sie einmal begrüßen. Tatsächlich habe ich mich ja Ende letzten Jahres von ihr scheiden lassen, aber in ihrem Tanz ist Chikako hervorragend. Eben einfach gut.«
Ich sollte auch irgend etwas finden, das mich so gefühlsselig macht, – dachte er, ohne zu wissen, warum er verlegen war und verwirrt. Und dann fiel ihm eine bestimmte Zeile ein.
Eben jetzt trug er die nachgelassenen Aufzeichnungen eines Mädchens mit sich herum, das im Alter von fünfzehn Jahren gestorben war. Neuerdings fand er sein größtes Vergnügen darin, solche von Jugendlichen verfaßten Schriften zu lesen. Die Mutter der Fünfzehnjährigen, offenbar nachdem sie das Gesicht der Toten zurechtgemacht hatte, schrieb an den Schluß der Tagebucheintragung vom Todestag des Mädchens diese Zeile:
»Das Gesicht zum erstenmal in ihrem Leben geschminkt, glich sie einer Braut.« (933)
Nachwort
Wer ihn kannte, vergißt diese Augen nicht: von weit her weithin gerichtetes Binokular, durch dessen im Alter immer seltener von Teilnahme überblitzte Linsen ein sensibles Nervengef lecht die eigenen Reaktionen aufs Sichtbare und im Sichtbaren aufs Erfaßbare überhaupt kontrollierte. Das letzte so abgetastete Bild muß der verdämmernde Himmel über dem Pazifik gewesen sein: am Abend des 6. April 972 schied Yasunari Kawabata, der erste Japaner, der den Nobelpreis für Literatur erhalten hatte, in der komfortablen Fluchtburg seines Arbeitsappartements am Strand bei Kamakura durch Einatmen von Leuchtgas aus dem Leben. Ohne eine Erklärung, ohne auch nur einen Hinweis auf das Motiv. Zwei Monate später wäre er dreiundsiebzig geworden.
Kawabata gehörte zu den wenigen japanischen Erzählern unseres Jahrhunderts, deren Namen sich auch dem Ausland einprägten. Daß dies nicht schon Verständnis meint, zeigte die bisherige Aufnahme der relativ zahlreichen Übersetzungen. Seine Romane Schneeland, Tausend Kraniche, Die Tänzerinnen, Kyoto, Ein Kirschbaum im Winter, seine Erzählungen – darunter Tagebuch eines Sechzehnjährigen, Die Tänzerin von Izu, Mond auf dem Wasser – wurden zumeist aufgefaßt als empfindsame private Elegien, als letzte Beschwörung eines zerfallenden Japans der Schönheit und ihr Autor als ein Traditionalist, als ein noch einmal »typisch japanischer« Erzähler, was auch immer exotische Schwärmerei dafür halten mag.
Der vorliegende Band mit Arbeiten aus über drei
Jahrzehnten soll den Weg öffnen helfen zu einem differenzierteren Kawabata-Bild, in dem der »Modernismus« so sehr eine Rolle spielt wie ein allerdings eigentümlich japanischer Sensualismus. Als in den mittleren zwanziger Jahren Kawabata mit dem etwa gleichaltrigen Riichi Yokomitsu, angestoßen von der Philosophie Bergsons, dann unterm Eindruck des amerikanischen Imagismus und deutschen Expressionismus (so auch in dem Stummfilm Kurutta ippēji, Regie: T. Kinugasa), eine neue, unmittelbar sinnliche Erzählweise experimentierte, bezeichneten sie diese nicht zufällig als eine neosensualistische: die Japanern von jeher eigene Sensibilität als Brücke benutzend, um über sie in eine Zeitgenossenschaft mit westlicher Literaturentwicklung zu wachsen. Das Stimulans eines weitgehend angenäherten geistig-literarischen Umfelds war gegeben. Die Titelerzählung »Träume im Kristall«, hier zum erstenmal in eine fremde Sprache übertragen, entstand 93; im Jahr zuvor waren die ersten Teile von Joyce’ Ulysses, war Cocteaus Les Enfants terribles in japanischer Übersetzung erschienen, ein Jahr weiter zurück Freuds Einführung in die Psychoanalyse. Kawabata hatte, wie die Lektüre dieser Erzählung noch heute bestätigt, genau den Schnittpunkt der Linien aus West und Ost gefunden.
Dabei war bereits auch die andere, die wohl wichtigste Komponente in Kawabatas Werk angesetzt: ein sich gelegentlich bis aufs Gleichgeschlechtliche ausweitender oder das Geschlechtliche überhaupt überschreitender Erotizismus, der, selber die äußerste Steigerungsmöglichkeit sensueller Erfahrung, Schönheit
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