Träume in Kristall
Napf mit Weichfutter, da reckten sie ihre Hälse und fingen an, danach zu picken. »Ah, jetzt werden sie wieder lebendig!«
Was für eine Freude der Erleichterung! Nun erst bemerkte er, daß er, um das Leben der Vögel zu retten, bereits viereinhalb Stunden gebraucht hatte.
Indessen, wie of die beiden Goldhähnchen auch versuchten, sich auf der Sitzstange niederzulassen, immer wieder fielen sie herunter. Es schien, ihre Zehen öffneten sich nicht. Er fing sie und fühlte mit dem Finger hin: die Zehen hatten sich zusammengekrümmt und waren steif. Man hätte sie wohl zerbrechen können wie trockene dünne Zweige.
»Ob etwa der Herr sie vorhin versengt hat?«
Auf diese vorsichtige Bemerkung des Hausmädchens und um so wütender, als er selber fürchtete, es könnte – irgendwie hatten die Beine so seltsam vertrocknet ausgesehen – tatsächlich an dem sein, erwiderte er: »Ich habe sie in meinen Händen gehalten, ich habe sie auf das Handtuch gesetzt, – und da soll ich den Vögeln die Beine versengt haben? … Wenn es sich mit den Beinen bis morgen nicht gegeben hat, gehst du zum Vogelhändler und läßt dir erklären, was ich da am besten mache.«
Indem er die Tür zu seinem Arbeitszimmer verriegelte, schloß der Mann sich ein und nahm dann die Beine der Vögel in den Mund und wärmte sie. Das Gefühl, als sie seine Zunge berührten, war derart, daß ihm Tränen des Mitleids aufstiegen. Nach einer Weile waren die Flügel naß vom Schweiß seiner Handf lächen. Und die Zehen der Vögel, aufgeweicht von seinem Speichel, wurden ein wenig biegsamer. Wenn er sie gewaltsam berührte, könnten sie, so schien ihm, leicht brechen, weshalb er zunächst nur eine Zehe vorsichtig aufog und versuchte, sie seinen kleinen Finger umgreifen zu lassen. Dann tat er die Beine wieder in seinen Mund. Nachdem er die Sitzstange entfernt hatte, stellte er das in eine kleine Schale umgefüllte Futter auf den Boden des Käfigs; offensichtlich jedoch fiel es den Vögeln noch immer schwer, auf ihren versagenden Beinen zu stehen und zu fressen.
»Der Vogelhändler meint auch, der Herr wird ihnen
wohl doch die Beine versengt haben«, berichtete das Mädchen, als es am folgenden Tag aus dem Geschäf zurückkam. »Sie könnten, sagt er, die Beine in Tee wärmen. Meist aber pickten die Vögel solange daran herum, bis sie wieder heil sind, sagt er.«
Und wirklich, fortwährend pickten die Vögel nach ihren Beinen, oder sie nahmen sie in den Schnabel und zerrten daran.
»He, ihr Beine, was ist los?« schien das zu bedeuten, »nun mal vorwärts!« Und energisch wie der Specht pochten sie mit großem Eifer darauflos. Dann wieder versuchten sie mutig, sich auf ihre kränklichen Beine zu stellen. Der Mann hätte sie anreden, hätte sie anfeuern mögen: wie klar war doch das Leben dieser Kleinen, die sich wohl einfach unsäglich darüber verwunderten, daß ein Teil ihres Körpers nicht in Ordnung sein sollte.
Zwar tauchte er sie auch in Tee, offensichtlich jedoch bekam diesen Beinen die Methode mit dem Mund noch besser.
Die beiden Goldhähnchen waren noch nicht recht an Menschen gewöhnt gewesen, weshalb bis dahin, wenn er sie in die Hand nahm, ihre Brust stets hefig geklopf hatte; in den zwei, drei Tagen aber, seit ihnen die Beine schmerzten, schienen sie mit seiner Handfläche völlig vertraut geworden, so daß sie sich nun durchaus nicht mehr ängstigten, sondern im Gegenteil fröhlich zwitschernd sogar ihr Futter fraßen, während er sie hielt. Dies ließ sie ihm nur um so rührender erscheinen.
Indessen, da seine Pflege auch nicht die mindeste Wirkung hatte, begann er nachlässig zu werden, und am Morgen des sechsten Tages, die wie sonst zusammengekrümmten Zehen mit Kot beschmiert, lagen die beiden Goldhähnchen einträchtig nebeneinander und waren tot.
Wie ist doch das Sterben eines Vogels etwas so Flüchtiges. Meist findet man ganz unerwartet morgens im Käfig den kleinen Leichnam.
Der erste, der in seinem Haus starb, war ein Bluthänfling. Während der Nacht hatte eine Ratte dem Pärchen die Schwänze herausgerissen, so daß der Käfig mit Blut bespritzt war. Das Männchen verendete am Tag darauf. Das Weibchen hingegen, obwohl alle die Männchen, die danach eins ums andere zu ihm getan wurden, aus irgendeinem Grunde starben, lebte noch lange Zeit und immer mit einem roten, blanken Hinterteil, wie es die Affen haben. Schließlich aber fiel es doch, alt und schwach geworden, tot nieder.
»Bluthänflinge scheinen bei mir nicht zu
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