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Träume jenseits des Meeres: Roman

Träume jenseits des Meeres: Roman

Titel: Träume jenseits des Meeres: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tamara McKinley
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hatte. Wenigstens hatte sie jemanden, der auf sie aufpassen würde, dachte Nell. Für wie lange allerdings, das mochte der Himmel wissen. Sally und Peg putzten sich heraus, ließen den Blick über Matrosen und Sträflinge schweifen, die am Ufer heulten – aber sie blieben Huren.
    Sie unterdrückte die Furcht, der sie in den Augen der Frauen begegnete, die nie auf der Straße und in den Kneipen gearbeitet oder sich freiwillig hingegeben hatten. Einige waren gerade erst zwanzig und hatten an Bord eine schwere Zeit gehabt. Nell ging davon aus, dass ihnen an Land noch Schlimmeres bevorstand.
    Nell zog den dünnen Schal fester um die Schultern und versuchte, das Zittern zu beherrschen. Noch nie hatte sie richtig Angst gehabt, doch als sich das Boot dem Strand näherte, fühlte sie blankes Entsetzen. Sie war knapp zwanzig, und als junge Prostituierte im East End von London hatte sie gewusst, was sie erwartete – hier aber, in diesem schrecklichen wilden Land, war sie Gesetzlosigkeit und sinnlicher Begierde gnadenlos ausgesetzt. Was sollte nur aus ihr werden?
    Plötzlich watete Billy auf sie zu, schob die anderen beiseite und langte nach dem Bug des Bootes. »Billy«, schrie sie. »Billy, hilf mir!«
    Er packte sie, so dass sie beinahe aus dem Boot fiel. »Beeil dich«, befahl er. »Die Kerle hier sind darauf aus, zu randalieren.«
    Nell stolperte, als er sie über den Strand hinter sich her zog, und noch ehe Billy sie stützen konnte, wurde sie von drei Sträflingen gepackt und ihm entrissen. »Billy«, kreischte sie, trat und schlug um sich und versuchte, ihren Angreifern die Augen auszukratzen.
    Billy griff mit geballten Fäusten ein, und Nell wehrte sich nach Leibeskräften, bis die Männer aufgaben. Billy packte sie um die Taille und trug sie im Laufschritt unter die Bäume.
    Als er sie schließlich auf die Beine stellte, zitterte sie am ganzen Leib, so dass sie kaum aufrecht stehen konnte, und brach in Tränen aus. »Mein Gott, Billy, so viel Angst hab ich im ganzen Leben noch nicht gehabt.« Sie hängte sich an ihn; ihr Selbstvertrauen war dahin.
    Billy drückte sie fest an sich und versuchte sie zu beruhigen. »Ich bin nur heilfroh, dass ich dich noch rechtzeitig da rausgeholt habe. Es wird Vergewaltigung und Mord geben, noch bevor der Tag zu Ende ist«, japste er. »Zu viele Männer, nicht genug Frauen und Rum für alle – das kann nur schiefgehen.«
    Eng umschlungen standen sie im Schutz der Bäume und lauschten den Schreien und Rufen. Das Chaos war schon ausgebrochen. Nell war dankbar für seine starken Arme und seinen raschen Verstand. »Danke, Billy«, schluchzte sie. »Ich weiß nicht, was ich ohne dich gemacht hätte.«
    Er half ihr, weiter in den Schatten zu gehen. »Es sind Tiere«, murmelte er. »Der Himmel weiß, was sie getan hätten, wenn …«
    Sie zitterte noch immer, und das Atmen fiel ihr schwer. »Sie könnten uns jederzeit finden«, flüsterte sie. Ihr Blick schoss durch die Bäume zur Lichtung. »Wir müssen uns verstecken.«
    »Ich weiß. Es wird eine lange Nacht, aber ich habe Rum und etwas zu essen beiseitegeschafft, und wir haben bis zum Morgengrauen frei.«
    Sie hielt sich an ihm fest, als er immer weiter in den Busch vordrang. Sie kamen an eine kleine Lichtung, weit entfernt vom Lärm am Strand. Die Umgebung war fremdartig und ziemlich furchteinflößend, und Nell warf ängstliche Blicke über die Schulter. »Was ist mit den Eingeborenen?«, fragte sie. »Die könnten uns auflauern und jederzeit töten.«
    »Ich glaube, die haben mehr Angst als wir«, sagte er, setzte sich hin und umarmte sie liebevoll. »Ich schätze, die sind inzwischen meilenweit weg.«
    »Danke, Billy. Ich wusste, du würdest dich um mich kümmern.« Trotz des Drecks und der zerfetzten Kleidung sah er sehr gut aus. »Ich könnte allerdings einen ordentlichen Schluck vertragen«, sagte sie mit klappernden Zähnen.
    Er grub das kleine Fass aus, das er zuvor dort vergraben hatte, und sie tranken. Zu essen gab es nur Brot und Pökelfleisch mit ein paar Äpfeln, die auch schon bessere Zeiten gesehen hatten.
    Satt und endlich zur Ruhe gekommen, zog Nell ihn neben sich ins Gras. Seine Augen waren sehr blau, als er auf sie hinabschaute und ihr einen Arm um die Taille legte. »Wir beide sind füreinander bestimmt«, murmelte sie.
    Billy beugte sich über sie, blendete die Sonne aus und schloss sie in eine traute Welt ein, der sie nicht entkommen wollte. Nell gab sich bereitwillig hin, denn das war der Mann, den sie

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