Träume jenseits des Meeres: Roman
außer der Reihe zu tun – Autoritäten zu missachten, Regeln zu brechen und deine Meinung zu sagen? Was diesen kleinen Kahn betrifft, er hat uns sicher bis hierher gebracht, und Cook hat sich als hervorragender Kommandant erwiesen.«
Josiahs Augen, Hals und Gesicht liefen angesichts des vorlauten Tons seines Neffen rot an.
Jonathan merkte, dass er die Grenze des Schicklichen überschritten hatte. »Denk doch nur an die Anerkennung, die man uns daheim in England zollen wird, wenn wir dieses Land im Süden tatsächlich finden«, schmeichelte er. »Man wird die Entdecker feiern, und vielleicht werden sie sogar vom König belohnt.«
Josiah wischte sich das Gesicht ab und schaute angestrengt in die Ferne, doch Jonathan sah den nachdenklichen Schimmer in seinen Augen und hakte noch einmal nach. »Das Ganze kann in die Geschichte eingehen, Onkel. Man wird die Entdecker bitten, etwas über das Thema zu schreiben und Vorträge in ganz England zu halten – wenn nicht sogar in Europa. Und was ist mit der Astronomie der südlichen Länder? Würdest du dir das nicht gern selbst ansehen?«
Josiah stieß einen herzzerreißenden Seufzer aus und rammte die Hände in die Taschen. »Da du anscheinend wild entschlossen bist, deinen Willen durchzusetzen, muss ich mich wohl damit einverstanden erklären, dich zu begleiten. Aber wenn ich an Seekrankheit sterbe oder im Kochtopf eines Wilden lande, dann wirst du deiner Mutter Rede und Antwort stehen müssen.«
Jonathans Siegesruf stieg bis ins Krähennest hinauf und ließ die anderen Passagiere zusammenfahren. Er drückte den alten Brummbär in einer heftigen Umarmung an sich. »Du wirst es nicht bereuen«, versprach er.
»Hmm«, lautete die Antwort, als Josiah der Hut vom Kopf rutschte und er ihn gerade noch auffing, bevor er ins Meer fiel. »Krieg dich wieder ein. Denk an den Anstand.«
»Scheiß auf den Anstand«, rief Jonathan, packte den Hut und warf ihn in hohem Bogen über das Wasser. »Auf ins Abenteuer! Lass uns den großen südlichen Kontinent finden!«
Waymbuurr (Cooktown, Australien), September 1769
Das Land war vor kurzem geflämmt worden, die Erde war stellenweise noch schwarz, die silberne, jetzt verkohlte Rinde der Bäume löste sich ab. Dennoch kehrte in Form von kleinen grünen Sprösslingen und aufbrechenden Knospen bereits Leben in die Natur zurück, und Anabarru wusste, dass damit bald die grasenden Tiere wieder hierher gelockt würden. Wenn die Regenzeit anbräche, wären hier gute Jagdgründe.
Beinahe geräuschlos überquerte sie auf bloßen Füßen rasch den versengten Boden und steuerte die Hügel an, die sich wie die Brüste einer Frau über dem Waldboden erhoben. Die Hitze war gewaltig, der Himmel wolkenlos, und das Zischen unzähliger Insekten begleitete sie. Vögel flatterten in den Bäumen, und Spinnen webten ihre tödlichen Netze zwischen den Ästen, um alles einzufangen, was nicht auf der Hut war. Anabarru aber hatte ein geübtes Auge und kannte sich von Kindesbeinen an in ihrer Umgebung aus; sie war sich der Gefahren bewusst – sie hatte viele Monate der Einsamkeit mit ihnen verbracht, hatte gejagt und gefischt, war allmählich kräftiger geworden und hatte sich daran gewöhnt, für sich selbst zu sorgen. Jetzt war ihre Zeit gekommen, sich der Bürde zu entledigen, frei zu werden, um nach Hause zurückzukehren.
Sie eilte weiter über das zu den beiden Gipfeln hoch über den Bäumen ansteigende Land. Die Schmerzen nahmen zu, und sie musste sich beeilen. Als die Sonne allmählich Schatten hinter sie warf und ihr direkt in die Augen schien, blieb sie stehen, um Atem zu schöpfen, den Schmerz zu ertragen und ihren Standort zu überprüfen. Die weichen, sinnlichen Hügel waren jetzt so nah, dass sie jeden einzelnen Baum ausmachen konnte, der darauf wuchs. Von ihrem hohen Aussichtspunkt konnte sie über die Wipfel der höchsten Bäume hinweg das weite Land sehen, das sich ringsum bis zum Horizont erstreckte, und über das glitzernde Wasser tief unten, wo die anderen Frauen angeln würden.
Sie klopfte mit ihrem Grabstock auf den Boden. Es klang hohl. Da wusste sie, dass sie ihr Ziel beinahe erreicht hatte. Vorsichtig ging sie über den glatten Fels auf einen schmalen Spalt zwischen zwei Wächtersteinen zu, die in Jahrhunderten von Wind und Regen geformt worden waren. Ihre Zehen gruben sich in die lockere Erde, und ihre Hände griffen nach den starken Pflanzen, die an den Seiten der Felsen wuchsen. Sie schlitterte und rutschte den steilen Abhang
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