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Träume jenseits des Meeres: Roman

Träume jenseits des Meeres: Roman

Titel: Träume jenseits des Meeres: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tamara McKinley
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bekannt war.
    Schaudernd wandte Susan sich um. Sie lief durch den Regen, mit den bloßen Füßen in die Pfützen zwischen den zerbrochenen Pflastersteinen platschend, und erreichte die Kate. Sie schloss die Tür hinter sich, lehnte sich mit dem Rücken an das stabile Holz und versuchte, aus dieser Vertrautheit Kraft zu schöpfen. Sie war in diesem Haus zur Welt gekommen. Das Leben in dieser kleinen Fischergemeinde war hart, doch es war gesünder als das der Arbeiter im Zinnbergwerk, die unter der Erde lebten und kaum das Tageslicht sahen. Durch den Staub in ihren Lungen starben die meisten, noch bevor sie die mittleren Jahre erreicht hatten. Alte Fischer hingegen lebten weiter, um ihre Geschichten über das Meer zu erzählen, während sie halfen, Netze zu flicken, und nachfolgende Generationen ermunterten, in ihre Fußstapfen zu treten. Ihre Katen waren warm, sie hatten immer zu essen, und Krankheiten waren unter ihnen selten.
    Trotzdem waren beide Arbeiten gefährlich. Die Schächte brachen ein, da die Minenbesitzer nur am Gewinn interessiert waren; die Männer erstickten oder wurden zermalmt. Fischer waren auf Gedeih und Verderb den Naturgewalten ausgeliefert. Susan hatte in ihrem jungen Leben den Verlust von Männern und Booten in einem solchen Sturm, wie er jetzt da draußen tobte, schon miterlebt. »O Gott«, stieß sie schluchzend hervor, »lass sie unversehrt! Bring sie nach Hause!«
    Der Wind rüttelte an den stabilen Wänden und heulte durch den Kamin; dabei drückte er eine erstickende graue Rauchwolke in den einzigen Raum. Susan lauschte auf die Stille innerhalb der Kate, und erneut überlief sie ein kalter Schauer. Es war, als hielten diese vier Wände die Luft an und warteten auf eine Nachricht von denen, die hier wohnten.
    Fest entschlossen, ihre Gedanken im Zaum zu halten, unterdrückte sie blinzelnd die aufsteigenden Tränen und eilte über den Steinboden an den Herd. Das einzige Licht kam von der Laterne am Fenster und dem Ofengitter, doch die flackernden Schatten waren vertraut und heimelig, so dass sie für einen Augenblick Trost empfand. Die düsteren Gedanken jedoch gingen ihr nicht aus dem Kopf, Panik überkam sie, als sie daran dachte, was aus ihnen werden sollte, wenn die Männer nicht zurückkamen. Wie sollten sie die Miete aufbringen? Würde Lady Cadwallader sie hinauswerfen? Es war bekannt, dass sie so etwas schon einmal gemacht hatte, als das Schicksal zugeschlagen hatte. Wenn doch nur Jonathan hier wäre – er würde dafür sorgen, dass sie nicht auf der Straße landeten.
    »Du darfst nicht an Jonathan denken«, sagte sie leise. »Er kann dir nicht helfen. Niemand kann das.« Da sie nicht länger grübeln wollte, was das Schicksal bringen würde, stellte sie rasch den großen Kessel auf das Feuer. Während sie wartete, dass das Wasser kochte, raffte sie trockene Schals zusammen, schob die Füße in ihre abgetragenen Pantinen und griff nach einer Wolldecke. Es war nicht die erste Nacht, in der die Dorfbewohner auf dem Anleger Wache standen, und es würde nicht die letzte sein. Susan wusste, dass jeder, der diese schreckliche Nacht überlebte, möglichst warm und trocken zu halten war.
    Nachdem der Tee fertig war, schüttete sie ihn in einen großen Tonkrug, versetzte ihn mit einem Löffel Honig und stöpselte den Krug zu. Was immer ihnen bevorstehen mochte, sie mussten bei Kräften bleiben. Einen Schal fest um den Kopf gewickelt, klemmte sie die Wolldecke und die übrigen Schals unter den Arm, nahm einige Zinnbecher und griff nach dem schweren Krug. Der Wind pfiff durch die Kate und schlug die Tür hinter ihr zu. Sie zog den Kopf ein und lief zurück an den Anleger, das Klappern der Holzpantinen auf dem Pflaster wurde vom Geräusch der an die Mole donnernden Wellen erstickt.
    »Ich habe dir Tee mitgebracht«, versuchte sie den Wind zu übertönen, der wie die Todesfee Banshee heulte.
    Maud konnte nicht lächeln, doch lag Dankbarkeit in ihren rot umrandeten Augen, als sie den Becher zwischen die steif gefrorenen und abgearbeiteten Hände nahm, um mit dem duftenden Dampf ihr sorgenvolles Gesicht zu wärmen.
    Susan legte ihrer Mutter die Wolldecke über das durchnässte Haar, bevor sie einen Schal um Billys Kopf und Schultern wand und Tee an die anderen austeilte. Ganz offensichtlich gab es noch nichts Neues, denn aus den verhärmten Gesichtern blickten ihr vor Angst trübe Augen entgegen. »Warum gehst du nicht rein, Mum?«, rief sie ihr aus nächster Nähe ins Ohr, als sie zurückkam.

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