Träume jenseits des Meeres: Roman
dass das unmöglich war. Eng umschlungen lagen sie da, als die Sonne aufging und die Lichtung mit hellen Strahlen durchbohrte. Das Läuten der Schiffsglocke durchbrach die Stille, und Jonathan wurde traurig. Es war Zeit zu gehen. Zögernd löste er sich von ihr und zog sich das feuchte Hemd und die schmuddelige Hose an. Er griff in seine Tasche und zog die Taschenuhr hervor, die sein Vater immer getragen hatte. Sie war vor einem halben Jahrhundert angefertigt worden und ein kostbarer Besitz, doch war sie das Einzige, was er ihr schenken konnte.
Das Gold blitzte im Sonnenlicht auf, war jedoch nichts gegen den feurigen Diamanten, der genau zwischen den fein herausgearbeiteten Initialen C. C. auf dem Deckel saß. Vorsichtig drückte er auf den Rahmen, so dass der Deckel aufklappte und die innen liegende Uhr freigab. Das weiße Email und die schwarzen römischen Ziffern wirkten in der exotischen Umgebung starr und schlicht, und die präzisen Bewegungen des goldenen Uhrwerks glitzerten. In eine besondere Nische war ein winziger Schlüssel eingepasst, mit dem der komplizierte Mechanismus aufgezogen wurde. Jedes einzelne Stück dieses Meisterwerks war mit einem Stempel geprägt.
»Ich habe Sydney Parkinson, den Künstler an Bord, gebeten, das für mich zu machen«, erklärte er, als er ihr die feinen Miniaturen auf der Außenhülle zeigte. Auf einer Seite war sein Porträt zu sehen, auf der anderen das ihre. Beide waren vom Künstler signiert und mit Datum versehen.
Lianni betrachtete sie verwundert. »Das bist du.« Sie zeigte mit einem schlanken braunen Finger auf sein Porträt.
Er nickte schmunzelnd. »Und das bist du, Lianni.«
Mit funkelnden Augen sah sie sich ihr Miniaturporträt an. »Das bin ich?« Sie strahlte vor Stolz. »Ich bin schön, oder?«
»Ja, das bist du«, sagte er, schloss die Uhr und legte sie ihr in die Hand. »Das ist mein Geschenk. Pass gut darauf auf, mein Liebling, und denk jedes Mal an mich, wenn du es anschaust.«
Sie drückte die Uhr an ihre Brust. »Das ist meine?« Als er nickte, umfasste sie die Uhr noch fester, und eine Träne rann ihr über die Wange. »Du gehst an Bord, aber du gehst nicht fort.«
Jonathan küsste sie noch ein letztes Mal, ermahnte sie, die Uhr nie nass werden zu lassen oder den Schlüssel zu verlieren. Dann zwängte er sich durch das Gebüsch und lief an den Strand zum Ruderboot, das ihn zum Schiff zurückbringen würde.
Lianni folgte ihm kurz darauf und stand im Schatten der Bäume am Rand des Strandes. Sie sah zu, wie die Männer das kleine Boot zum großen Schiff hinausruderten, wie Jonathan über das Fallreep stieg und ihren Blicken entschwand. Sie schaute auf sein Geschenk und presste es ans Herz, als sich zum ersten Mal neues Leben in ihr rührte. Dank dieses Geschenks würde das Kind immer das Gesicht seines Vaters kennen.
Später an jenem Morgen trat Jonathan aus der Kabine und ging an Deck. Er hatte sich schon längst der schweren Überkleider entledigt und war dazu übergegangen, in der Hitze des Tages nur in Kniehose und Hemd zu arbeiten. Seine Hemdsärmel waren aufgekrempelt und ließen muskulöse, gebräunte Arme sehen. Die Haare hingen ihm lose ins Gesicht. Kurz nach der Ankunft in Tahiti war er achtzehn geworden, und er fühlte sich stark und belebt, nachdem er bei der Errichtung des Forts in Port Venus mit Hand angelegt hatte.
Die Sonne brannte auf seinen unbedeckten Kopf und blendete ihn, doch er versuchte nicht mehr, sich vor ihr zu schützen – nach dem Nebel und Schmutz von London genoss er sie sogar. Die drei Monate in Tahiti hatten jede Blässe und den Dünkel des Städters weggewischt. Und außerdem hatte diese Zeit seine Lust auf Entdeckung und Abenteuer noch verstärkt. Das Einzige, was er bedauerte, war Lianni. Sie hatte ihn verhext, er hatte in einem Paradies Narrenfreiheit genossen, dabei wünschte er sich von ganzem Herzen, Susan wiederzusehen. Sie war seine wahre Liebe, und das musste er ihr sagen.
Er lehnte sich an die Reling und schaute angestrengt ans Ufer, in Gedanken bei Susan und der gemeinsamen Zukunft, die sie trotz der Missbilligung ihrer Eltern geplant hatten.
»Ich frage mich, was unser Lieutenant will«, murmelte Josiah, als er sich zu seinem Neffen gesellte. Er tupfte sich das rote, schweißüberströmte Gesicht mit einem Taschentuch ab und zog den Hut tiefer in die Stirn. »Extravagant, zu dieser Morgenstunde eine Versammlung an Deck anzuberaumen. Die Hitze ist entsetzlich. Wie hältst du das nur
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