Träume nicht dein Leben, lebe deinen Traum
vertrete ich den Standpunkt, dass alles zur rechten Zeit kommt und sich eine Lösung immer findet, selbst wenn die Lage im ersten Moment völlig aussichtslos erscheint. Dennoch bin ich diesmal durch mein kleines Ein-Mann-Zelt wesentlich besser vorbereitet. So habe ich die absolute Freiheit zu schlafen, wo immer ich will, aufzustehen, wann immer ich will und zu guter Letzt und das ist das Beste daran: ich habe keine Schnarch und Methangasorchester! Eine absolut lohnenswerte Investition. Der Weg am heutigen Morgen ist wesentlich angenehmer zu laufen als der harte Aufstieg gestern. Es geht durch wunderschöne Birkenwälder, an Hängen entlang mit Sicht weit über die Berge und mit dicken Nebelwolken in den Tälern, so dass ich über den Wolken laufe.
Ein euphorisierendes Gefühl, welches mich sehr angenehm voran kommen lässt. Nach etwa einer Stunde kommt mir dann aus dem Nichts plötzlich ein älterer Herr entgegen, der mich prompt auf Französisch begrüßt und eine Konversation startet. Ich kann zwar absolut kein einziges Wort Französisch, da ich mich damals in der Schule für Latein entschieden habe, schaffe es aber zu meinem völligen Erstaunen, auf Hand- und Fußsprache zu verzichten und irgendwelche Laute über die Lippen zu bringen, welche weder deutscher noch englischer Abstammung sind. Nachdem ich erfahren habe, dass hier noch alles nebelig ist, was ich als äußerst wertvolle Information einstufe, da mir der Nebel jedwede Sicht nimmt, um dies selbst zu erkennen, teilt mir der ältere Monsieur mit, dass hinter dem nächsten Berg bereits die Sonne aufgegangen ist und ich mich nur wenige Meter vorm Cisa-Pass befinde. Der alte Mann verschwindet genauso schnell im Nichts, wie er aufgetaucht ist. Während ich weiter laufe, frage ich mich, was für eine Sprache ich grade gesprochen habe, denn Spanisch war es auch nicht und da ich über keine Französischkenntnisse verfüge, beschließe ich, dass es Spanisch mit selbsterfundenem französischem Akzent war. Auf jeden Fall konnten wir uns beide miteinander verständigen, was mir ein kleines Gefühl von Stolz verleiht. Tatsächlich hatte der nette Monsieur recht und nach nur wenigen weiteren Schritten lichtet sich der Nebel und die Sonne blickt mich erwartungsvoll an.
Ich komme an eine kleine Kreuzung, wo es nun zwei Möglichkeiten nach Roncesvalles gibt. Ich entscheide mich für den rechts von mir liegenden Weg. Eine kleine Kirche, die, wie ich später erfahre, als Denkmal für das ehemalige Kloster der Abtei San Salvador von 1071 steht sowie ein Rolandsdenkmal wird passiert. Ich befinde mich am Ibañeta-Pass, von dem aus ein Fußweg quer über eine Wiese bergab führt und mich im weiteren Verlauf nahezu direkt vors Kloster von Roncesvalles leitet. Ein wirklich beeindruckender Bau, der mich förmlich erschlägt, so gewaltig taucht das Kloster plötzlich vor mir auf. 1132 erbaut und seitdem eine der bedeutendsten Herbergen des Camino Francés. Ich fülle meine Wasserflasche auf und gönne mir hier eine kleine Pause, während ich das Kloster etwas genauer in Augenschein nehme. Für viele Pilger ist Roncesvalles der Ausgangspunkt, wobei ich das nicht verstehe, denn trotz der Strapazen ist die Etappe über die Pyrenäen traumhaft schön. Nach meiner Besichtigungstour beschließe ich, einen Bäcker oder einen kleinen Supermarkt aufzusuchen und mache mich somit wieder auf den Weg, muss jedoch nach wenigen Minuten feststellen, dass das Dorf Roncesvalles im Grunde nur aus dem Kloster besteht und dass es hier außer ein oder zwei kleinen Cafés, welche mir viel zu überteuert erscheinen, absolut nichts weiter gibt.
Es ist noch sehr früh. So lasse ich Roncesvalles hinter mir und setze meine Reise fort, die nun zunächst parallel zur Straße verläuft. Zwar geht es über einen schmalen Pfad durchs Grüne, dennoch brausen immer wieder Autos zu meiner Linken an mir vorbei.
Meine Blasen an den Fersen spüre ich momentan so gut wie gar nicht mehr, was aber leider nur daran liegt, dass ich mittlerweile eine neue wunde Stelle, etwa 10cm weiter oben habe. Beim Abstieg nach Roncesvalles hat nämlich unmerklich der Schuhschaft meines Stiefels immer wieder gegen die Unterseite meiner Wade gedrückt, so dass ich nun dort keine Haut mehr besitze und lediglich rotes aufgescheuertes Fleisch zu sehen ist. In etwa so stelle ich mir die gepeinigten Rücken der Flagellanten vor, nur mit dem Unterschied, dass ich keinen Anlass zur eigenen bewussten Bestrafung sehe. Ich verfluche meine Stiefel
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