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Traeume von Fluessen und Meeren

Traeume von Fluessen und Meeren

Titel: Traeume von Fluessen und Meeren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Parks
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ihn kühl an. »Ich weiß. Es war Ihr Onkel John.« Sie stockt. »Albert sagte, es wäre eine Methode, mit der man aus einem räudigen Hund einen Pudel machen kann oder einer Spinne beibringen, wie man das Netz wieder entspinnt.« Sie lacht. »Ihr Vater hat sich viele Sorgen gemacht. Dann war er aufgeregt wie ein Kind. Dann trank er viel. Wissen Sie, er wollte ein Stück aus Alice im Wunderland machen, so heißt es doch, oder? Er sagte …«
    John will von diesem Geschwafel nichts mehr hören. Es quält ihn. Er schiebt seinen Teller weg. »Und warum haben Sie gesagt, es sei Ihre Schuld, dass er gestorben ist?«
    Jasmeet schüttelt den Kopf. »Vielleicht habe ich die Lektion gelernt, die er uns beibringen wollte. Ich wollte die Katastrophe verhindern.«

23
    Paul nahm den Fahrstuhl in den dritten Stock, blätterte im Wartezimmer eine Zeitschrift auf Hindi durch und sah, wie der Patient vor ihm um Punkt zehn Uhr ging. Der junge Mann wirkte kein bisschen krank.
    Paul wartete darauf, dass er hereingerufen wurde. Die Zeitschrift war ein Hochglanzmagazin und schien sich mit Astrologie zu befassen; eins der wenigen Themen, bei dem sich Paul und seine frommen Eltern immer einig gewesen waren; was heißen will, seine Eltern fanden, jede Art von Hellseherei sei Teufelswerk, während Paul es einfach idiotisch fand zu glauben, sein Schicksal stehe in den Sternen.
    Er ging ans Fenster. Es wehte ein trockener Wind, der Müll aufhäufte und die Blätter von den staubigen Bäumen fegte. Gab es Umstände, fragte er sich, oder einen Geisteszustand, der jemanden dazu bringen konnte, sich einer Wissenschaft, oder einer Pseudo-Wissenschaft zuzuwenden, in die er nicht das geringste Vertrauen hatte? Und wenn ja, was für ein Geisteszustand mochte das sein?
    »Mr. Roberts?«
    Dr. Bhagat war ein gepflegter Mann Ende dreißig in Anzug und Krawatte. Er strahlte eine erfrischende Zuversicht aus. »Mr. Roberts, dies ist Bala, meine Frau.« Eine kleine Frau streckte ihm mit einem zugleich freundlichen und durchtriebenen Lächeln die Hand entgegen. »Wir arbeiten zusammen«, erklärte er.
    Paul nahm dem Arzt gegenüber Platz, der hinter einemimposanten Schreibtisch saß. Sein Anzug war hellgrau, seine Krawatte gelb. Die Frau setzte sich an die Seite, nahm einen Stift zur Hand und legte einen Schreibblock auf ihrem Schoß bereit. Alles war sauber und ordentlich.
    »Wie ich schon am Telefon gesagt habe«, fing Paul an, »bin ich nicht meinetwegen hier, sondern um über einen Ihrer Patienten zu sprechen, der vor einigen Monaten gestorben ist. Albert James.«
    »Und wie meine Frau Ihnen zweifellos erklärt hat, sind alle Gespräche mit unseren Patienten streng vertraulich.«
    »Das verstehe ich«, sagte Paul, »und ich bin natürlich sehr dankbar, dass Sie sich überhaupt bereit erklärt haben, mich so kurzfristig zu empfangen.«
    Er machte eine Pause. Die heruntergelassenen Jalousien und die leise Klimaanlage verliehen dem Raum eine sachlich-moderne Atmosphäre. Paul hatte eher etwas Ausgefallenes, auf einen Quacksalber Deutendes erwartet: Vorhänge, Lampen, kultigen Schnickschnack.
    »Ich schreibe eine Biografie von Professor James«, sagte er. »Seine Frau dachte, Sie könnten mir vielleicht etwas über ihn erzählen.«
    »Sie sind Schriftsteller?«, erkundigte sich der Doktor mit der höflichen Beflissenheit eines Profis, der sich für die Arbeit eines anderen Profis interessiert.
    »Richtig.« John zögerte. »Ich würde gerne etwas über Ihren Berufszweig erfahren, und darüber, warum Professor James sich entschlossen hat, Sie aufzusuchen.«
    Der Doktor schien darüber nachzudenken. »Bala«, sagte er, »würdest du bitte die Akte von Mr. James holen?«
    Es gab verschiedene Regale mit blauen, grünen und roten Akten. Alberts war grün. Paul war sich bewusst, dass er nach der Bedeutung dieser Farben fragen könnte, aber stattdessen fragte er: »Hat Alberts Tod Sie überrascht?«
    Der Doktor schlug die Akte auf und fing an, Notizen und Quittungen durchzublättern. Er hatte zwei kleine Leberflecke über dem linken Mundwinkel. »Wir haben erst durch Ihren Anruf erfahren, dass Mr. James verstorben ist. Sein letzter Besuch bei uns war am« – er warf einen Blick auf das oberste Blatt Papier – 15. November. Vor vielen Monaten.« Dr. Bhagat blickte auf. »Aber nein, überrascht bin ich nicht. Traurig, aber nicht überrascht.«
    »Er war also schwer krank?«
    »Krank?« Der Doktor zog eine Augenbraue hoch.
    »Er hatte doch Prostatakrebs.«
    Die kleine

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