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Traeume von Fluessen und Meeren

Traeume von Fluessen und Meeren

Titel: Traeume von Fluessen und Meeren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Parks
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schlicht und einfach das Dilemma, damit es sich der Welt zeigen kann. Wenn das eine Dilemma verschwindet, sucht es sich ein neues.«
    Paul war skeptisch. »Und wie behandeln Sie einen solchen Zustand?«
    »Es gibt viele Wege, einen Stau von Vata zu behandeln.« Der Tonfall des Arztes wurde sachlicher. Er drehte einen Stift zwischen den Fingern. »Es gibt Massagen mit Öl, das mit bestimmten Kräutern versetzt ist. Wenn das Vata sich im Bereich von Blase und Unterleib gestaut hat, wie in diesem Fall, kann man auch einen Einlauf mit Öl verordnen: hundert Zentiliter Sesamöl mit den richtigen Kräutern, das so lange, wie es dem Patienten möglich ist, im Darm gehalten wird. Mindestens vierzig Minuten.«
    »Einläufe? Und das hat Professor James gemacht?«
    »Ich habe es jedenfalls empfohlen. Ob er es gemacht hat oder nicht, ist eine andere Frage. Ihr Mr. James war wie ein Mann, der von außen hereinschaut. Vielleicht war er nur neugierig.«
    »Im Westen wird die Neugier sehr hoch bewertet«, sagte die Frau.
    »Wie auch immer«, schloss der Doktor, »ich habe ihn gewarnt, dass diese Behandlungen bestenfalls Linderung bringen können. Er hätte sich mit dem Gerangel in seinem Kopf beschäftigen müssen.«
    »Dafür haben Sie kein Heilmittel?«
    Dr. Bhagat überlegte. »Es ist nicht leicht, das Prakruti zu heilen. Das ist, als würde man einen Arzt bitten, das Leben der Person ungeschehen zu machen. Verstehen Sie? Es geht eher um einen Zugang als um Heilung. Die Astrologie ist in solchen Fällen sehr nützlich.«
    »Die Astrologie?«
    »Sie mögen überrascht sein, aber ich habe sehr viel Erfahrung, Mr. Roberts, in der Anwendung der Astrologie sowohl bei der Diagnose als auch bei der Heilung.«
    »Von Gerangeln im Kopf?«
    »Das ist Bestandteil der ayurvedischen Medizin, Mr. Roberts. Das Gleichgewicht der Elemente im Körper wird stark von der Position der Planeten bestimmt. Wir müssen verstehen, mitwem wir es zu tun haben, ehe wir versuchen können zu helfen. Aber Mr. James hat mir nicht gestattet, ein Geburtshoroskop anzufertigen und diesen Aspekt zu untersuchen.«
    »Glaubte er nicht an Astrologie?«
    Die Frau lächelte: »Ihr Professor hatte Angst, er könne daran zu glauben beginnen, wenn mein Mann damit Erfolg hätte.«
    »Das ist die typisch widersprüchliche Reaktion eines Mannes, in dessen Geist ein Gerangel tobt«, sagte Dr. Bhagat lachend. »Ich habe vielen solchen Patienten mit Astrologie geholfen«, wiederholte er, »allerdings habe ich nie zuvor mit einem so schweren Fall zu tun gehabt. Es tut mir leid, dass er gestorben ist. Er war ein interessanter Mann.«
    Paul schaute den Arzt eingehend an. »Es tut Ihnen leid, aber Sie sind nicht überrascht?«
    »Nein.«
    Paul bemühte sich, seine Verblüffung zum Ausdruck zu bringen. »Darf ich fragen, warum nicht, wenn Sie noch nicht einmal der Meinung sind, dass er krank war? Das verstehe ich nicht. Ich meine, kann man an diesem … diesem Vata denn sterben?«
    Der Arzt blätterte in seinen Unterlagen und schien erneut nachzudenken. »Mr. James hat mir nichts von seinem Privatleben erzählt. Er war sehr zurückhaltend. Um ehrlich zu sein, ich wusste gar nicht, dass er Professor war. Er hat mir nur seinen Namen genannt, Mr. Albert James. Er schien ein sehr bescheidener Mann zu sein.«
    Der Doktor runzelte die Stirn und kratzte sich leicht neben seinen Leberflecken. »Natürlich kann ich Ihnen nicht alle Symptome, die er mir genannt hat, verraten; nein, einige davon waren sehr untypisch für die Krankheit, die er zu haben glaubte. Ich habe das Gefühl, es wäre nicht richtig, Ihnen diese Dinge zu verraten; er hat sie mir im Vertrauen erzählt, und sie sind in der Tat sehr intim. Sagen wir mal« – er zögerte –, »ja, sagen wir, ich hatte den Eindruck, das Mr. James’ Situation nicht tragbar war,ohne allerdings die Situation genau zu kennen. Es schien so zu sein – wie soll ich es ausdrücken? –, dass ihm die Zeit davonlief.«
    Der Mann entspannte sich und änderte seinen Tonfall. »Aber jetzt sind Albert James’ Probleme gelöst, nicht wahr, so oder so, oder doch zumindest in ein anderes Leben überführt?«
    Die Frau des Doktors sagte: »Oft sind es tiefe Gefühle, die uns daran hindern, gesund sein zu wollen.«
    Ihr Mann fügte hinzu: »Das Einfachste, was wir sagen können, ist wohl, dass eine gewisse Art zu leben, die dieser Patient entwickelt hatte, für ihn allmählich unmöglich wurde. Das kann passieren. Ein Mann kann nur eine begrenzte Zeit auf

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