Traeume von Fluessen und Meeren
einem Bein stehen.« Er lächelte. »Obwohl es nach meiner Erfahrung erstaunlich ist, wie lange manche Menschen auf einem Bein stehen, in manchen Fällen sogar rennen können.«
Pauls Verdrossenheit erreichte einen Höhepunkt. Er stand auf und griff nach seiner Brieftasche.
Dr. Bhagat rührte sich nicht. »Sie haben es eilig, Mr. Roberts?«
Sie hatten sich auf ein Honorar von 400 Rupien geeinigt. Paul zählte das Geld ab.
»Vielleicht erklären Sie uns noch, warum Sie eine Biografie über Mr. James schreiben? Was interessiert Sie so an diesem Mann?«
»Sie selbst wirken auch ein bisschen aufgewühlt«, sagte die Frau.
Paul blieb stehen, hob aber den Blick von seiner Brieftasche. Also gut, dachte er und setzte sich wieder. Er würde sein Geld absitzen.
»Mir schien«, sagte Paul, »beim Lesen von Professor James’ beachtlichem Werk von anthropologischen und naturwissenschaftlichen Texten, dass er in seinem Verständnis der Art und Weise, wie Menschen sich zueinander verhalten, weiter gekommen ist als jeder andere. Und er hat ein bemerkenswertes Leben und eine bemerkenswerte Ehe geführt.«
Ein langes Schweigen trat ein, so als warteten der Arzt und seine Frau auf mehr. Paul fand, er habe genug gesagt. Schließlich murmelte Dr. Bhagat, fast wie zu sich selbst: »Und dennoch spüre ich ein Problem.«
»Ein Problem?«
Der Doktor schaute hoch und sagte mit festerer Stimme: »Es gibt ein Problem mit dem, was Sie sagen. Sie klingen nicht sehr überzeugt. Sie sagen, mir schien , nicht: Ich bin sicher.«
»Also«, gab Paul zu, »es ist so: Albert James ist gestorben, ehe ich ihn treffen konnte, und jetzt, seit ich hier in Delhi bin, scheint er mich in eine Art Irrgarten geführt zu haben. Ich kann ihn nicht finden.«
»Schon wieder scheint .«
»Ich meine, so kommt es mir vor.«
»Es kommt Ihnen so vor, als verstecke sich der Tote vor Ihnen?«
Paul zuckte die Achseln. Der Inder war belustigt. Er ließ wiederholt seine Krawatte durch seine Finger gleiten.
»Ich glaube, dass die Toten tot sind, Herr Doktor.«
»Aber Sie sagten, er habe Sie in einen Irrgarten geführt.«
»Metaphorisch gesprochen.«
»Aha«, sagte der Doktor.
»Metaphern«, sagte die Frau lächelnd.
Eine Weile sagte keiner etwas. Dr. Bhagat und seine Frau waren ein cleveres Gespann, dachte Paul. Sie hatten eine starke Atmosphäre geschaffen. Wie immer, wenn er ein echtes Paar traf, versuchte er sich vorzustellen, wie sie miteinander schliefen. Diese Gewohnheit hatte er seit der Pubertät nicht mehr abgelegt, seit er mit Erstaunen festgestellt hatte, dass seine puritanischen Eltern es tatsächlich unter der Bettdecke miteinander trieben. Zum ersten Mal kam Paul der Gedanke, dass das eigentlich Wichtige nicht gewesen wäre, Albert James zu treffen, sondern Albert und Helen zusammen zu erleben, zu sehen, wie sie zusammen waren, zu sehen, wie sie miteinander schliefen, dachte er. Der Gedanke lenkte ihn ab. In seinem Nacken zuckte etwas.
»Wir spüren, dass da noch etwas Anderes ist, Mr. Roberts«, sagte der Doktor.
»Wie meinen Sie das?«
»Es gibt etwas, dass Ihnen Sorgen macht.«
Paul zögerte, dann dachte er, warum nicht? »In den letzten Tagen«, sagte er, »habe ich eine Beziehung mit Professor James’ Witwe angefangen.«
»Ha!« Der Doktor schüttelte den Kopf und rieb sich über die Leberflecke an seinem Mundwinkel. Er wirkte beinahe hämisch. »Das ist ja überaus interessant!« Er fuhr fort, seinen glänzenden Kopf zu schütteln. »Dann weißt du ja, was du zu erwarten hast«, kicherte er und schaute ziemlich fröhlich seine Frau an, »wenn ein Schriftsteller mal eine Biografie über mich schreiben will, Bala! Oder nicht? Achtung! Achtung!«
Die Dame verzog keine Miene.
»Vielleicht, Mr. Roberts«, sagte der Arzt jetzt wieder in professionellerer Manier, obwohl er immer noch lächelte, »vielleicht möchten Sie, dass ich Ihr Geburtshoroskop erstelle? Wir könnten uns anschauen, welche Entscheidungen für Sie anstehen. Was Sie aus diesem Irrgarten herausführen kann.«
Paul schaute ihn an. Nichts konnte weiter von dem Ethos entfernt sein, mit dem er aufgewachsen war. Aber nichts wäre angenehmer, als zu erfahren, wie er mit der Zukunft umgehen sollte.
»Ich werde es mir überlegen«, sagte er trocken.
»Wenn ich mir meine Notizen so anschaue«, sagte der Arzt jetzt, »sehe ich etwas, das Mr. James gesagt hat und das ich Ihnen vielleicht mitteilen kann. Ich glaube, das wäre kein Vertrauensbruch.«
»Ja?«
»Hier. Mal sehen
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