Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Traeume von Fluessen und Meeren

Traeume von Fluessen und Meeren

Titel: Traeume von Fluessen und Meeren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Parks
Vom Netzwerk:
auf die Bücherregale und die dunklen Holzmöbel. Paul war überrascht von der Größe des Raumes, der Anzahl der Leute jeden Alters, die sich über die Mahagonitische beugten, in alten Zeitschriften lasen und sich Notizen machten. Die Marmorbüsten wichtiger Männer, die in den staubigen Ecken standen, verliehen dem Ganzen eine koloniale Atmosphäre.
    »Professor James’ Ehrgeiz«, erklärte Dr. Coomaraswamy mit hoher, kehliger Stimme, »bestand darin, das Reich des Schamanen mit den Mitteln und Denkmustern des Wissenschaftlers zu erkunden. Verstehen Sie?«
    Der Doktor lächelte seltsam über den Rand seiner Brille hinweg. Was für ein Doktor war er wohl? fragte sich Paul. Die beiden standen mitten im Raum. Man hatte dem Amerikaner keinen Stuhl angeboten.
    »Albert fühlte sich berufen, beschwerliche Wege zu beschreiten, Mr. Roberts. Bewundernswert und unergiebig.«
    »Was glauben Sie, warum James nach Delhi gekommen ist?«, fragte Paul.
    Dr. Coomaraswamy dachte nach. Der Mann hatte etwas Vages und Huldvolles an sich, das irgendwie unangenehm war, aber im Einklang stand mit seiner perfekt gebügelten Tunika, dem Geruch frisch rasierter Haut und einer gewissen unanfechtbaren Selbstzufriedenheit, die in seinen blinzelnden Augen hinter der randlosen Brille zu erkennen war.
    »Vielleicht«, sagte der Inder schließlich, »liegt die Antwort in einer Bemerkung, die Albert einmal bezüglich unserer jüngeren Geschichte mir gegenüber gemacht hat. Die Teilung, wissen Sie, die Ausgrenzung, das Gemetzel an zahllosen Muslimen. Er sagte, Delhi sei eine Stadt, in der er ständig an die Gewalt erinnert wurde, sich aber nie persönlich bedroht fühlte: Er war nicht an unserem Zwist beteiligt.«
    Paul Roberts war nicht überzeugt. »Zwiste, an denen Albert James nicht beteiligt war, gibt es überall auf der Welt«, bemerkte er. Neben dem schlanken, asketischen Inder kam er sich plump und unbeholfen vor.
    Mit einem herablassenden Lächeln sagt Dr. Coomaraswamy, er bedauere sehr, niemanden zu kennen, der dem Biografen helfen konnte, niemanden, der ein wirklich enges Verhältnis zu Albert James hatte, abgesehen natürlich von Mrs. James. »Albert hatte viele Bekannte«, sagte er, »und ein oder zwei glühende Anhänger, aber keine Freunde, soweit ich weiß.« Er ging langsam in Richtung Tür.
    »Worin bestand sein Interesse an der Theosophie?«, fragtePaul. »Ich meine, war es ein akademisches oder ein persönliches?«
    »Ich bezweifle sehr, dass Albert da einen Unterschied gesehen hätte.«
    »Aber hat er darüber in Bezug auf seine Forschungen gesprochen?«
    »Er hat nie über seine Forschungen gesprochen.«
    Paul war entschlossen, sich nicht so schnell hinauskomplimentieren zu lassen. »Ich nehme an«, sagte er, »da er regelmäßig zu den Zusammenkünften der Theosophischen Gesellschaft erschien, haben Sie mit ihm über die Theosophie gesprochen. Ich meine, glaubte er an die Wiedergeburt, glaubte er an die Meister?«
    Coomaraswamy seufzte. »Professor James kam immer ein paar Minuten nach Beginn der Veranstaltung, hörte sich an, was der Sprecher des Abends vortrug, trank anschließend eine Tasse Tee und ging dann wieder nach Hause.«
    »Glauben Sie, dass er danach strebte, selber ein Meister zu werden?«, erkundigte sich Paul vorsichtig, »ein Mahatma, ein Hüter der Schwelle vielleicht, der die Menschheit aus dem Grab heraus leitet?«
    »Man strebt nicht danach, ein Hüter der Schwelle zu werden, oder, Mr. Roberts?« Der unsympathische Mann hustete und räusperte sich. »Das wäre eitel. Man strebt nach Weisheit. Ein Meister wird nur durch Erwählung zum Meister.«
    Sie waren jetzt an der Tür angelangt. Coomaraswamy öffnete sie und deutete eine Verbeugung an. Die ganze Unterhaltung hatte keine fünf Minuten gedauert. Paul blieb auf der Schwelle stehen. »Die Theosophie lehrt die Notwendigkeit einer unmittelbaren persönlichen Gotteserfahrung. Stimmt’s? Das ist der Kern Ihres Geschäfts.«
    Er benutzte absichtlich das Wort Geschäft. Der Inder zog eine Augenbraue hoch.
    »Würden Sie also sagen, dass Albert James eine solche Erfahrung gemacht oder gesucht hat?«
    Coomaraswamy lächelte matt. »Das, Mr. Roberts, geht doch wohl weder Sie noch mich etwas an, nicht wahr?«
    Am darauffolgenden Nachmittag nahm Paul ein Taxi zur St. Annen-Schule. Auch den Namen der Schule hatte er von Sharmistha erfahren. Beim Überqueren des chaotischen Connaught Place fiel ihm erneut auf, wie wenig er Delhi mochte. Die Stadt war ein

Weitere Kostenlose Bücher