Träume wie Gold: Roman (German Edition)
vermochte, nicht im Geringsten geschmälert. Sie hatte ihn sich auf der Bühne in hundert verschiedene Personen verwandeln sehen. Macbeth, Willie Loman, Nathan Detroit. Sie hatte seine Triumphe miterlebt und seine Misserfolge. Aber er beeindruckte sie immer wieder aufs neue.
»Erinnerst du dich noch an Mom und Dad als Titania und Oberon?«
Lea verdrehte genervt die Augen, aber sie lächelte dabei. »Wer könnte das vergessen? Wochenlang ist Mutter aus ihrer Rolle nicht herausgeschlüpft. Es war weiß Gott nicht einfach, mit einer Feenkönigin zu leben. Und wenn wir nicht bald machen, dass wir hier rauskommen, dann steigt sie aus den Kulissen und hält uns einen Vortrag, was zwei allein nach Virginia reisenden Frauen alles zustoßen kann!«
Dora, die die Nervosität und Ungeduld ihrer Schwester spürte, legte Lea den Arm um die Schultern. »Ganz ruhig, Schätzchen. Ich halte sie schon in Schach, und Vater macht ohnehin gleich eine Pause.«
Was er wie auf ein stummes Stichwort hin auch tat. Während die Schauspieler sich in die Garderoben zurückzogen, trat Dora hinaus auf die Bühne. »Dad.« Einen langen Augenblick musterte sie ihn von Kopf bis Fuß. »Du warst großartig.«
»Danke, meine Liebe.« Er machte mit den Armen eine ausladende Geste, die sein zerrissenes Totenhemd gespenstisch flattern ließ. »Ich finde, die Maske ist diesmal sehr viel besser als letztes Jahr.«
»Absolut.« Die weiße Schminke und die kohlrabenschwarz umrahmten Augen wirkten in der Tat erschreckend echt. »Absolut schauerlich.« Sie hauchte ihm einen Kuss auf die Lippen, sorgsam darauf bedacht, das Make-up nicht zu verwischen. »Schade, dass wir die Premiere verpassen.«
»Da kann man nichts machen«, meinte er leichthin, zog dabei aber einen kleinen Flunsch. Er hatte zwar einen Sohn, der die Conroy-Tradition fortführte, seine beiden Töchter aber hatte er verloren – die eine war verheiratet, die andere selbstständige Geschäftsfrau. Was ihn freilich nicht daran hinderte, sie hin und wieder wie Kinder zu behandeln. »So, so, meine kleinen Mädchen machen sich zu einer großer Abenteuerfahrt auf.«
»Wir gehen auf Geschäftsreise, Dad, und nicht auf Expedition ins Amazonasgebiet.«
»Das ist doch Jacke wie Hose«, meinte er mit einem verschmitzten Augenzwinkern und gab Lea einen Kuss. »Hütet euch auf alle Fälle vor wilden Bestien.«
»Lea!« Trixie Conroy kam in voller Maske, komplett im Kostüm und Federhut, über die Bühne gerauscht. Die exzellente Akustik des Liberty Theaters trug ihre wohltönende Stimme ohne Schwierigkeiten bis zu den obersten Balkonen hinauf. »John ist am Telefon, Liebes. Er hat vergessen, ob Missy heute um fünf zu den Pfadfindern oder um sechs zur Klavierstunde muss«.
»Ich habe doch alles genau aufgeschrieben«, seufzte Lea. »Wie will er denn die Kinder drei Tage versorgen, wenn er nicht mal eine Liste lesen kann?«
»Ein Goldstück, dieser Mann«, kommentierte Trixie, während Lea davoneilte. »Der perfekte Schwiegersohn. Und Dora, du fährst doch vorsichtig, ja?«
»Aber sicher, Mom.«
»Natürlich. Du bist immer vorsichtig. Und Anhalter nimmst du doch auch keine mit, oder?«
»Nicht einmal, wenn sie mich auf Knien anflehen.«
»Und alle zwei Stunden machst du eine Pause, um deine Augen auszuruhen, ja?«
»Pünktlich wie ein Uhrwerk.«
Trixie, die unverbesserliche Mutter, nagte an der Unterlippe. »Trotzdem, es ist eine schrecklich lange Fahrt bis Virginia. Und es könnte Schnee geben.«
»Ich habe Winterreifen.« Um weiteren Ratschlägen vorzubeugen, gab Dora ihrer Mutter einen Kuss. »Ich habe ein Autotelefon, Mom. Jedes Mal, wenn wir eine Staatsgrenze passieren, rufe ich dich an.«
»Ja, das ist eine prima Idee.« Die Vorstellung heiterte Trixie zusehends auf. »Ach, und Quentin, Liebling, ich komme gerade von der Theaterkasse.« Sie versank vor ihrem Gatten in einen vollendeten Hofknicks. »Wir sind auf Wochen ausverkauft.«
»Selbstverständlich.« Quentin half seiner Frau auf und wirbelte sie in einer gekonnten Pirouette über die Bühne, die in einer tiefen Verbeugung endete. »Außer einer Hand voll freier Stehplätze erwartet ein Conroy stets ein volles Haus.«
»Hals- und Beinbruch.« Dora drückte ihrer Mutter einen Abschiedskuss auf die Wange. »Dir auch«, sagte sie zu Quentin. »Und Dad, vergiss nicht, dass du heute einem Interessenten das Apartment zeigen wolltest.«
»Ich vergesse nie einen Termin. Ausgangspositionen!«, rief er über die Bühne und zwinkerte
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