Träume(h)r (German Edition)

zufrieden. Er hatte das Rennrad des Professors inmitten der alten Drahtesel entdeckt. So kannte man Söring. Er war der lässige, umweltbewusste Lifestyle-Professor, der immer mit dem Fahrrad vorfuhr und den Studenten jedes Mal durch sein sportliches Auftreten anerkennende Blicke abgewann. Ein Lance Armstrong mit akademischem Titel.
    Doch Söring wollte anscheinend nicht zu seinem Fahrrad. Er kramte in der Hosentasche und holte ein funkelndes Etwas hervor, das Marc als Autoschlüssel zu identifizieren glaubte. Der Professor zeigte damit in Richtung der Fahrzeuge, die nur knapp drei Meter von den Fahrständern entfernt standen, aber durch die Blätter der Bäume perfekt vor fremden Blicken abgeschirmt wurden.
    Marc wunderte sich kurz, da Söring nicht weit von der Universität entfernt wohnte und stets vor seinen Studenten bekräftige, dass er den Hybrid nur für weite Strecken nutzte, aber wahrscheinlich musste er nach dem Gastvortrag heute noch irgendwo etwas erledigen. Immerhin beobachtete er einen viel beschäftigten Geschäftsmann.
    Marc wollte sich gerade wieder seiner epischen Schlacht widmen, da Söring unter dem schützenden Blätterdach nun endgültig verschwunden war, als ein Windstoß die Baumkronen lichtete und darunter den Professor entblößte, der nicht in seinen umweltfreundlichen Hybrid, sondern in einen schwarzen Hummer H2 eingestiegen war und nach etwas suchte.
    Marc musste noch einmal genau hinsehen. Ein Hummer H2? Dabei handelte es sich nicht um ein neu geschaffenes, spritsparendes Hybridmodell oder gar um ein Fahrzeug mit reinem Elektroantrieb. Nein, es war exakt dasselbe Monstrum, das von amerikanischen Gangsterrappern dazu benutzt wurde, um einen Drive-By so gemütlich, wie möglich zu gestalten oder mit gigantischen Chromfelgen ausgestattet dezent durch die Straßen Brooklyns zu rollen. Dieses Fahrzeug war die zivile Ausgabe des »High Mobility Multipurpose Wheeled Vehicle«, vereinfacht Humvee, das tausendfach von den USA für den Kriegseinsatz hergestellt wurde.
    Marc sah sich um in der Hoffnung, dass einer der anderen Studenten den Professor bemerkt hatte, aber noch waren fast alle mit ihren Klausuren beschäftigt. So ein Heuchler, dachte er sich. Dieser Professor hielt nicht nur die anerkannteste Unternehmensgründer-Vorlesung des Landes, sondern positionierte sich gegenüber der Öffentlichkeit umweltbewusster als Green Peace. Man hätte bis zum heutigen Tag denken können er sei als Kind in einen verschmutzten See gefallen, von Ölmagnaten verprügelt worden oder hätte seinen Lieblingsspielplatz durch eine riesige Müllhalde verloren, da er fortlaufend nachhaltige Unternehmen unterstützte, sich immer wieder für erneuerbare Energien einsetzte und hin und wieder diverse Umweltverbände mit großzügigen Spenden versorgte.
    Wie konnte Söring etwas so widersprüchliches gegenüber seiner eigenen Philosophie tun, rätselte Marc. Er war der einzige Professor, den er wirklich sympathisch fand und jetzt musste er mit ansehen wie dieser Mann seinen riesigen SUV abseits des Universitätsgeländes geparkt hatte, um seine Neigung gegenüber imposanten Geländewagen zu vertuschen. Gleich würde Marc ihm gegenüber treten. Sie wollten sich noch zwanzig Minuten vor seinem Gastvortrag treffen und einige Eckpunkte durchgehen. Wie sollte er sich nun verhalten?
    Zur Krönung beobachtete Marc, wie der bisher so sympathische Professor fand, wonach er gesucht hatte und mit dem Fahrradhelm unter dem Arm zu seinem Rennrad ging, das Schloss aufsperrte und in Richtung Audimax fuhr.
    Die Lüge war perfekt.

»Warum siehst du so niedergeschlagen aus? Vorhin kamst du mir noch so vor, als hättest du dir wieder eine Eins aus dem Arsch gezogen. Hast du dich irgendwo vertan oder was ist los?«, wollte Ole vor dem Prüfungsraum von seinem Kumpel wissen.
    »Unseren Mister Saubermann, Christian Söring, habe ich vorhin oben durch das Fenster gesehen!«
    »Und was war mit ihm? Ist er von seinem Fahrrad gestürzt und hat sich ein Loch in die Armani-Hose gerissen?«, erwiderte Ole mit einem schelmischen Grinsen. Aber sogar der sonst so kritische Ole musste sich eingestehen, dass er den Professor sympathisch fand. Als Lara nämlich Christian Söring einen Sechser im Lotto nannte, nachdem sein Lebenslauf auch bis zu ihr und Anna durchgedrungen war und Anna ihn schließlich als sympathisch, gutaussehend, umweltbewusst, gebildet und wohlhabend beschrieb, mischte sich Ole in ihre Unterhaltung ein.
    »Für eine weitere