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Traeumer und Suender

Traeumer und Suender

Titel: Traeumer und Suender Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Goeritz
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man sich so richtig tränenselig hineinbegeben – aber ich hatte das schon, wirklich, nein danke! Leider wird man in unserem Beruf nicht so geschätzt. Es sei denn, man braucht uns, es sei denn, ein Regisseur hat mal wieder Scheiße gebaut und seine Drehtermine verlängern und verlängern sich, erhat sich mit dem ausführenden Produzenten überworfen oder mit wem auch immer – und dann ruft er einen wie mich an. Einen, der das Risiko nicht scheut, wenn er sieht, was man aus dem Stoff machen kann, wenn er einem wie mir dafür die Kampagne überlässt. Aus Scheiße kann man eben doch Gold machen. Erinnern Sie sich an die ganzen Schmuddelfilme in den Ecken, in den Bahnhofskinos der Siebziger, Porno, Hammer-Horror, Karate? Lief über das Dunkle und das Grelle. Und die Titel, genial:
Dracula jagt Mini-Mädchen, Deep Throat, Der Mann mit der Todeskralle, Die Nacht der reitenden Leichen
.
    Die werden heute ja alle andauernd zitiert. Peter Jackson war doch ganz wild auf Osorio, der hat seine Ringgeister doch genau nach diesen schwarzen Tempelritterzombies modelliert, die im Zeitlupentempo durch die künstliche Nacht ritten – einfache blaue Blende. Dieser irre Spanier! Ich sag doch, von B-Filmen lernen. Der Schund ist meistens ehrlicher als die Kunst. Tarantino, das muss man ihm lassen, versteht das.»
    Er hätte jetzt gerne geraucht. Der Geschmack von Tabak würde ihn beruhigen. Hilflos sah er sich um, vielleicht war Ralph noch in der Nähe. Er hatte die Tür aber weder auf noch zugehen hören, vielleicht war die Suite noch größer, als er dachte, oder es gab eine Verbindungstür weiter hinten, zu einem weiteren Zimmer.
    Â«Das Kino bei uns um die Ecke hieß Smoky; ich lebte in Kassel, gleich nach dem Lager in Friedland, mein Studium hatte ich abgebrochen, da konnte man nichts machen, die Behörden in Hessen wollten das, was ich in Ostberlin gemacht habe, einfach nicht anerkennen. Aber die Siebziger hatten es in sich. Ich kriegte schnell Kontakte, jobbte im Kino, da konnte man damals noch Bier trinken undRauchen, meistens haben sie da gefummelt, manchmal auch richtig gevögelt. Ich hab die Eiskonfektpackungen aufgekehrt und die Kondome eingesammelt. Hatte hinter dem Vorführraum eine eigene Kammer, wo ich die aufgehängt habe. Waren gar nicht die Pornos, wonach man die meisten fand.
    Sie glauben, ich trage zu dick auf? Grinsen Sie nicht so, die Tellerwäscher- und Millionärstory ist so leicht nun auch wieder nicht umzuschreiben. Jedenfalls noch nicht. Lernen Sie mich besser kennen, dann verstehen Sie.»
    Der Interviewer hatte gequält gelächelt. Die Magenschmerzen waren vorüber, zumindest der schlimmste, der krampfartige Teil. Aber er war vollkommen erledigt, vollkommen durchgeschwitzt.
    Â«Der Betreiber hatte damals eine gute Hand, kriegte irre Filme! Ich meine, der ließ zwischen dem ganzen Schund immer wieder Klassiker laufen, A-Rollen! Hat er sich mit einem Kino in Hamburg geteilt, waren Leihgeschäfte, und Fans hatte er, da kamen Leute ins Kino, von überall her. Die großen Klassiker.
Die roten Schuhe
,
Vom Winde verweht
,
Duell in der Sonne
. Ja, Technicolor! Das war sein Ding. Bis der Besitzer nach ein paar Jahren gesagt hat, er habe ein Bahnhofskino zu betreiben, kein Mini-Filmfestival. Da war es aus.
    Mein Vater hatte mir in Potsdam schon immer erzählt, wie gern er wenigstens einmal mit Technicolor-Material gearbeitet hätte. Dieser Farbprozess in den Fünfzigern im Hollywoodkino, das war keine bewusste Entscheidung, wissen Sie, das war ein Automatismus aus Notwehr. Zwischen ’48 und ’57, da krachte es in der Branche. Louis B. Mayer wurde aus seinem eigenen Studio rausgeworfen, selbst seine Sekretärin hat man unter Bewachung entfernt, die totaleDemütigung. Die wöchentlichen Zuschauerzahlen sanken von hundert Millionen auf vierzig! Filme machten zum ersten Mal in Hollywood Riesenverluste. Und warum? Ganz einfach: Dieses kleine, in einen Holzkasten eingesperrte Ding, das den Amerikanern vorgaukelte, direkt im Wohnzimmer mit der ganzen Welt verbunden zu sein. Sie ahnen es. Fernsehen. Über achtzig Prozent der Haushalte hatten bald mindestens ein Fernsehgerät. Fünf Stunden vor dem Schirm, das war schon damals die Rate. Das war die erste Krise des Films. Und wie reagierte der darauf? Völlig falsch! Anstatt sich eine Zweitvermarktung in diesem Markt zu sichern, sprachen sie ein Sendeverbot

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