Traeumer und Suender
für Kintoppfilme im Fernsehen aus. Konkurrenz sollte erledigt werden durch gröÃer, weiter, besser â und ⦠farbiger. Ja, Fernsehen war bis 1964 schwarz-weiÃ.
Mein Gott hab ich Technicolorfilme geliebt. Jeder Kuss so etwas wie eine Crème Brulée. Man konnte das Brechen des Zuckers fühlen, das Eintauchen der Zunge in diese weiche und, je tiefer man kam, umso kältere süÃe Masse. Das war reiner Sex.
Besser als das Leben. Eine Traumwelt? Finden Sie? Aber das ist doch die Kunst! Welten, in denen Sie träumen können, Farben, die besser sind als das Leben. Man geht ins Kino und kommt glücklicher wieder heraus, beschwingter, beeindruckter, nicht deprimierter. Alles andere ist ein Irrweg!»
Erschöpft lehnte sich der Interviewer in die Polster. Es war sowieso egal, was er sagte, der alte Mann war auf seiner Erinnerungsbahn, ein Schaulaufen für Sieger, Pirouetten auf dem Parkett, von denen er wohl dachte, sie lieÃen sich von ihm, für die Presse hübsch verpackt, irgendwie weitererzählen. «Und dann?»
«Was dann geschah? Mit dem Technicolor-Verfahren? War ihnen zu teuer. Ja, es mussten drei Filmrollen laufen und von Hand coloriert werden, das war wie Malerei! Die Leute mäkelten, es sei zu bunt, nicht realistisch genug. Dann haben die Bosse Anfang der Fünfziger entschieden, den Technicolor-Prozess nicht mehr einzusetzen, Leute entlassen, das Patent, das Material und die Maschinen verkauft. Und an wen? Halten Sie sich fest: die Chinesen! Die haben immer schon langfristig gedacht.
Und wissen Sie, was die Ironie an der ganzen Sache ist? Wenn Sie heute eine Filmrolle aus den DreiÃigern zeigen, dann ist das Bild noch eins a. Klare Farben, gestochen scharf. Alles was nach Technicolor kam? Blaustichig! Verrutscht, kaum zu gebrauchen. Filmmaterial, das nichts taugt! So sieht das aus; investiert haben die Studios in das billige System des Zerfalls. So ist Amerika. Das ist die Wahrheit über uns. Das ganze Elend. Nun, ich will nicht hitzig sein. Hollywood war gut zu mir. Sehr gut sogar.
Sie wissen ja; ich habe Ihren Artikel über uns gern gelesen, wirklich. Ich finde, Sie haben ein wenig von dem getroffen, was unser Metier heute ausmacht. â¹Firma des Lichts.⺠Das hatte fast etwas Poetisches. Bisschen viel Fantasy schwingt da mit, dafür, dass wir in diesen Filmzweig nie richtig eingestiegen sind, gut, aber es gibt ja kaum noch einen Abenteuerfilm, der ohne Steam-Punk-Elemente und alternative Realitäten auskommt, schauen sie sich Guy Ritchies
Sherlock Holmes
vom vorletzten Jahr an, das Viktorianische Zeitalter als Fluchtpunkt einer alternativen Zukunftsvorstellung. Und das bei einem Meister der Deduktion! Zeitschleife in die Vergangenheit, damit wir uns unsere Gegenwart nicht anschauen müssen. Vampirfilme sind das Gleiche. Sex mit den Blutsaugern. Man bleibt aus der Sonne, hört
Emocore
und schwelgt mit seiner Teenage-Angst in Samt. Bei all den Krisennachrichten heutzutage kein Wunder. Aberich sage Ihnen was, und hier hätten Sie nachhaken müssen, das werden Sie tun, ich weià es, ich verlasse mich auf Sie. Wir brauchen hier mal scharfe Berichterstattung, gute Analysen. Sie haben doch bei Eco studiert? Der hat auch noch die richtige Lust am Trash, für den sind
Die drei Musketiere
und die Abenteuerromane von Salgari genauso wichtige Kulturprodukte wie ihr geliebter Antonioni. Der schreibt über
Superman
oder
Dylan Dog
genauso brillant wie Sie über Kafka und Orson Welles.
Ja, ich habe meine Hausaufgaben auch gemacht. Sie gehören einer Generation an, die alles weiÃ, aber nichts mehr verändert. Aber wissen Sie, was mich wundert? Bei all dem Euro-Krisen-Gewinsel, mit dem sich Europa gerade selbst sein Grab schaufelt, wo kommt diese Untergangsstimmung her? Geht es uns denn so schlecht? Haben uns die Chinesen wirklich schon überholt? Ich bezweifle das.
Orson Welles hat mal etwas sehr Gutes gesagt. Er bräuchte immer genau so viel Erfolg, dass er weitermachen könnte. Weitermachen, wissen Sie, darum geht es.
Wenn wir uns, zum Beispiel, Hongkong anschauen: Was war da für eine Angst vor der Rückgabe. Sie erinnern sich noch, vielleicht waren Sie noch zu jung, aber ich sage Ihnen, Panik, Panik, Panik. Meine englischen Kollegen heulten fast, dass Sie ihr Engagement in einer der reichsten Städte der Welt aufgeben müssten, dass das Monster China den Hort der Demokratie überrollt. Und? Was ist
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