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Traeumer und Suender

Traeumer und Suender

Titel: Traeumer und Suender Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Goeritz
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Freigeister wie Sievielleicht nicht, aber wenn ich Sie bei all unseren Gesprächen richtig verstanden habe, dann sind Sie auch im Kino gewesen, haben die Blockbuster gesehen, dann sind sie beim Zappen im Nachtprogramm auch eher bei den Thrillern, den Actionfilmen, den Historiendramen hängen geblieben und nicht bei den Kammerspielen. Griffith war unser erster Gott, unser Dealer! Er dealte mit Melodramatik. Aber, mein Lieber, er war ein begnadeter Dealer! Kamerafahrten, Nahaufnahmen, parallele Montagen! Mit solch einer Schnitttechnik ausgestattet, was würde der heute machen!»
    Â«Gewaltpornos, Tarantino-Verschnitte nur ohne den Witz und den Soundtrack?», warf der Interviewer ein. Er hatte sich die viel bösere Bemerkung verkniffen:
Gleiwitz
. Nachdem er sich geräuspert hatte, fuhr er fort: «
Birth of a Nation
ist …»
    Â«â€¦ ein Schmutzfilm? Ein Schandmal, ein Propagandastreifen, der nie hätte gemacht werden dürfen? Meinen Sie? Ja, hab ich schon hundertmal gehört. Bloß weil die schwarze Haushälterin sich vor Wollust die Hand leckt und rassische Vorurteile hier und da bedient werden? Weil im dümmlichen Kriegstaumel die Mädchen den feschen Südstaatenjünglingen zujubeln und ihnen Blumen ans Revers und Küsse ins Gewehr heften? Ja, aber 1915 war doch genau das ein Jahr zuvor in Deutschland passiert, in Österreich, Italien, Frankreich, England und Russland. Soweit die fesche Uniformen hatten jedenfalls. Klar können Sie das, was Griffith macht, inhaltlich kontrovers finden, Werte verändern sich, heute ekelt man sich vor diesen Szenen, seh ich auch so, aber künstlerisch? Künstlerisch verabscheue ich den Film keineswegs.»
    Der Interviewer blickte den alten Mann direkt an. Warum gingen sie so weit zurück, wo sie doch über ihn sprechen wollten, seine Karriere, sein Leben, die Flecken, die er verdeckte, die Dinge, die ihn antrieben? Und, ja, auch
Gleiwitz
. Oder sollte das wirklich die Kurve werden, die Assoziation, um die es hier ging? Verglich sich der Produzent mit diesem kontroversen Dinosaurier D. W. Griffith, sah er sich als einen Erneuerer des in Computeranimationen festgefahrenen Kinos, weil er jetzt einen gewagten internationalen Film über den Beginn der deutschen, Pardon, europäischen Katastrophe plante? Hätte das nicht auch Eichinger sagen können? Oder viel früher Pabst? Der alte Mann lächelte, als ob er genau wüsste, was sich im Kopf des Interviewers abspielte.
    Â«Filme sind immer emotionale Erpressung, Sie sitzen da und lassen sich die Haut von den Augen kitzeln. Und es ist nicht immer das Große, das Geistige, was Sie berührt, es sind die niedersten Instinkte. Kino war immer wie Jahrmarkt, die Freakshow, der Trommelwirbelmoment, wenn die Frau am Trapez durch die Luft wirbelt – und fällt. Zumindest in der Vorstellung muss sie fallen. Tod macht geil. Griffith war der erste Kinoerzähler, einer, der die ganze Klaviatur bediente, ja. Auch die dunklen Seiten. Die NS-Propaganda mit
Jud Süß
war nicht die einzige, die mit Stereotypen und Vernichtung durch Bilder umgehen konnte. Das ist das Risiko an der Kunst, verstehen Sie? Es gibt nichts Gutes per se!
    Es ist nur gut gemacht. Was glauben Sie, wie oft ich mir gewünscht hätte, Griffith hätte statt
The Klansman Tom Sawyer und Huckleberry Finn
verfilmt?»
    Der alte Mann sah ihn an. Der Interviewer fühlte sich in die Schule zurückversetzt. Ein zorniger, dann wiedergütiger Lehrer ließ sich an seinem Lieblingsschüler aus, bot ihm exklusiven Seelenstriptease, zuschauen, aber nicht anfassen. Selbst unter den Marketinggesichtspunkten, die der alte Mann immer ins Spiel brachte, hatte das keinen Wert.
    Â«Wirklich interessant ist aber an dieser Geschichte was anderes. Und zwar das fiskalische System Hollywoods, die Beziehung zwischen Produktion, Distribution und der Werbung, die sich durch Griffith’ Sensationserfolg etabliert hat, die bestimmt nämlich das Filmgeschäft bis heute. Und nur nebenbei: Griffith’ verdiente als Regisseur nur eine Million an dem ganzen Kuchen, er war so ausgelaugt von den Strapazen, den Film überhaupt zu machen, dass er vergessen hatte, sich vertraglich eine bessere Beteiligung zusichern zu lassen. Die ganze Produktion ist ein diffiziles Geflecht, eine ungeheuer schwierige Gleichung, genauso wie der Dreh vor Ort ein komplizierter Schauplatz mit Heerführern, Aufmarschplätzen und

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