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Traeumer und Suender

Traeumer und Suender

Titel: Traeumer und Suender Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Goeritz
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Konserventoten ist. Und da mussten die Regisseure tatsächlich auf ihren Hochstühlen sitzen wie Tennisplatzschiedsrichter, nur dass sie dirigierten: Massen von links! Kamera hierhin, Kamera auf den Turm, Reiter von rechts, Fackeln und Action! Aber das hat Griffith wohl nie gesagt. Er war ein Gentleman, bevorzugte sanfte Kommandos, Blende auf, Blende aus. Aber die Regie fand vom Feldherrenhügel aus statt, so war das damals. Noch heute sind es ja zweihundert Mann am Set, Frauen eingeschlossen, die du kommandieren musst, und dann dieser Druck! Ich kann schon verstehen, warum der Verschleiß an Regisseuren so groß ist. Du musst dauernd alle möglichen Fragen beantworten, Stars und Geldgeber bei Laune halten, und dabei die Gesamtvision deines Films im Kopf behalten, und glauben Sie mir, jeder Beteiligte hat da seine eigenen Meinungen und glaubt das besser zu können, da zerbricht man leicht, da verliert man seinen Touch. Unddann die Details! Allein die Maske kostet heute bei einer Produktion 50.000 Dollar! Ist es ein Wunder, dass so viele frühe Genies nach einer Traumphase am Start einfach untergehen? Orson Welles, Griffith, Nicholas Ray, Michael Ciminio, Sturges und Tarantino. Ja, großartig am Anfang und dann? Kam nichts mehr. Alle ‹Inglorious Bastards›. Na, Quentin hat vielleicht noch eine Chance.»
    Ralph war hereingekommen, hatte das Glas vom Beistelltisch abgeräumt und die Balkontür geschlossen. Venedig machte eine Pause. Nachmittagshitze hatte sich ins Zimmer geschlichen, die kalten Wände etwas aufgeladen, der Interviewer fand es sehr angenehm. Er sah auf die Armbanduhr und überlegte, ob er einen neuen Chip in das Aufnahmegerät legen müsste, eine halbe Stunde wäre wohl etwa noch drin. Er wollte sich gerade vorbeugen, um das am Display zu überprüfen, als der Produzent seine Stimme schneidender machte. Er klang fast beleidigt.
    Â«Ja, ja, von unseren ‹Mainstream-Momenten› wollt ihr alle nichts wissen. Das entzaubert, was? Aber wozu schreiben Sie dann einen Artikel? Sie, die Schreiber, Sie leben doch alle nur von den Abfällen, von unserem viel verachteten Hollywood! Aber ich sagen Ihnen eins: Hollywood ist überall. Das hat sich so sehr in uns allen festgesetzt, dass wir nach seinen Gesetzen leben, und wer das nicht erkannt hat, macht sich etwas vor. ‹Life follows art›, Oscar Wilde! Nur, was das heißt, das macht sich niemand klar. Bei dem einen nimmt man das als amüsante ästethizistisch-romantische Geste, weil der auf der sympathischen Seite ist, aber seien Sie realistisch: Ihre halbvergessenen Kunstfilmer, wer folgt denn denen? Buñuel? Maya Deren, Joseph Cornell? Sollen wir uns die Augen aufschneiden? Oder unserer Hunde Augen? In Wirklichkeit war’s ’ne Kuh. Und Wiederholungsschleifen?Die gezierte Feier des feinen Details? Magische Schnipselkultur? Sollen wir mit Spiegelgesichtern rumlaufen? Surreale Einer-sieht-sich-im-andern-Vergeblichkeit!»
    Â«Imitiert. Es heißt ‹life imitates art› bei Wilde.» Der Interviewer konnte sich die Bemerkung nicht verkneifen und blickte von seinem Gerät auf, direkt ins Gesicht des alten Mannes. Er hatte Zornesröte erwartet oder ein angewidertes Kopfschütteln, dass sich der junge Mann doch nicht als der so angenehm intelligente Zuhörer entpuppte wie angenommen. Aber der Produzent nickte anerkennend mit dem Kopf, als wäre er sich gerade bewusst geworden, dass der Interviewer die Rolle des gelehrigen Schülers nun endlich angenommen hatte.
    Â«Es heißt
imitiert
bei Wilde? Werd ich mir merken. Aber es geht um was anderes. Präsenz! Das ist das Zauberwort. Die Magie, die ein Schauspieler hat, die kommt nicht von ungefähr. Natürlich hatten die Großen dieses gewisse Etwas fast von allein – der Bogart und die Bacall, die Dietrich und die Monroe –, das Coole oder das Süffisante, das Vulgäre oder das Verletzliche, aber wenn es die Filmplakate nicht gegeben hätte, diese Meisterwerke unserer Zunft, und die Filme, in denen sich ihr Mythos entfalten konnte, dann gute Nacht, Marie. Sie müssen auch diese Präsenz erst schaffen, das ist zum Teil Ridleys Aufgabe, um endlich wieder auf den
Gleiwitz
-Film zurückzukommen, plaudern wir doch ein bisschen über die Produktion, aus der Zauberkiste der Geheimnisse. Meine Aufgabe ist es dann, die Gesichter im Spiel zu halten, wenn es wirklich losgeht. Sie in die Talkshow

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