Träumst du noch oder küsst du schon?: Roman (German Edition)
ihn ebenfalls hinein. Schließlich binde man die Tüte fest mit roter Schnur zusammen.‹« Sie schaut mich an und runzelt die Stirn. »Schreibst du mit, was du alles brauchst?«, fragt sie verärgert.
»Ähm …« Ich war ganz damit beschäftigt, eine der köstlichen Frühlingsrollen zu verputzen, und greife nun kleinlaut zu Papier und Kugelschreiber.
»›Dann nehme man das Bündel mit nach draußen zu einem Flecken Erde, schnüre es wieder auf und nehme den Zettel heraus. Man entzünde eine weiße Kerze und verbrenne das Blatt Papier in der Flamme, während man an den Namen des Menschen denkt, der sich verziehen soll, und sagt …‹« Sie hält kurz inne und fährt dann mit ernster Stimme fort: »›Winde aus Norden, aus Westen, aus Süden und Osten, seine Neigung zu mir sei verweht und verflossen. Macht sein Herz wieder offen und frei, und seine Liebe zu mir sei aus und vorbei.‹«
»War das alles?«, fragte ich, hektisch mitkritzelnd, und schaue auf.
»Nein, danach musst du den Schinkenknochen begraben.«
»Himmel, das ist aber ganz schön kompliziert, oder?«, stöhne ich. »Vielleicht wäre es doch leichter, eine Kontaktsperre zu erwirken.«
»Ach ja, und das Ganze muss abends um zehn stattfinden.«
»Warum denn um zehn?«
»Weil das in dem Buch steht«, entgegnet sie sachlich. Dann schaufelt sie sich mit ihren Essstäbchen eine Ladung Chow Mein in den Mund und kaut gedankenverloren. »Ach ja, eins wäre da noch.«
Ich gucke sie verschreckt an.
»Der Bannspruch muss bei abnehmendem Mond gesprochen werden.«
Wir verstummen beide und schauen aus dem offenen Fenster. Die Aussicht besteht hauptsächlich aus einem Blick auf graffitibesprühte Backsteinmauern, aber in der Mitte ist eine winzig kleine Lücke. Und durch die scheint ein sichelförmiger Mond herein.
»Er nimmt ab!«, ruft Robyn aufgeregt.
Panik steigt in mir auf. Schlagartig habe ich das ungute Gefühl, dass ich diese Sache wirklich durchziehen muss.
»Bist du fertig?« Schnell lenke ich ab und fange an, Pappschachteln und Essstäbchen wegzuräumen.
Robyn beäugt mich misstrauisch. »Morgen Abend«, erklärt sie entschlossen.
»Was ist morgen Abend?«, frage ich und versuche, mich dumm zu stellen.
»Morgen Abend musst du den Bannzauber sprechen!«, keucht sie, als sei es das Einzige, was man an einem Dienstagabend in Manhattan tun könnte.
Einen Moment schaue ich sie nur stumm an, und es ist, als käme der gesunde Menschenverstand gerade wieder zum offenen Fenster hereingeflattert und verpasse mir eine schallende Ohrfeige. »Das mache ich morgen Abend bestimmt nicht! Und auch nicht übermorgen! Oder überhaupt irgendwann!«, kreische ich und schüttele den Kopf, als könnte ich damit ein bisschen Verstand hineinschütteln. »Ich werde nichts von diesem Hokuspokusquatsch machen.«
»Das ist kein Hokuspokus«, protestiert Robyn gekränkt.
»Wie du meinst«, schnaube ich und atme tief durch. »Ich mache es jedenfalls nicht.«
»Aber wenn du Nate nicht endlich loswirst, hast du keinen Platz für einen neuen Mann in deinem Herzensbecher«, argumentiert sie.
»In meinem Herzensbecher?«
»So heißt es in dem Buch, das ich gerade lese«, erklärt sie etwas eingeschnappt und errötet leicht dabei. »Er muss erst leer sein, ehe ein anderer ihn wieder füllen kann. Wie beispielsweise Adam.«
Wobei sie pointiert die Augenbrauen hochzieht, und ich merke, wie ich nun meinerseits zart erröte. Ich habe ihr in meiner Mittagspause die ganze Adam-Geschichte erzählt. Na ja, genauer gesagt, habe ich ihr die E-Mails gezeigt, die wir uns geschrieben haben, und als loyale, treue Freundin hat sie jedes einzelne Wort ausführlich und gründlich auseinandergenommen, um schließlich zu dem Schluss zu kommen: »Er mag dich!« Nicht gerade eine bahnbrechende Erkenntnis, aber immerhin.
»Hör zu, wir müssen einen kühlen Kopf bewahren«, sage ich entschlossen und versuche, ganz ruhig zu bleiben. »Ich heiße Lucy. Ich komme aus Manchester. Ich trage Unterhosen von Marks & Spencer. Ich habe nichts mit Zauberei am Hut.«
»Nur ein winzig kleiner Zauber«, versucht Robyn mich zu beschwatzen.
»Knochen vergraben, Kerzen entzünden und Zauberformeln aufsagen?« Ich tippe mit der Fußspitze auf das Pedal des Tretmülleimers und werfe die Kartons in den Recyclingsack. »Nein, das mache ich nicht.«
Robyn wird hochrot und verstummt. Eine ganze Weile sagt keiner von uns beiden ein Wort.
»Ich habe deine Wäsche abgeholt«, sage ich schließlich, um das
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