Träumst du noch oder küsst du schon?: Roman (German Edition)
wenden zu können, doch ihrem Schlachtengeheul und fröhlichen Optimismus zum Trotz mache ich mir Sorgen.
Vielleicht ist das mein Manchester-Erbe. Der nordenglische Pessimismus, den ich mit der Muttermilch aufgesaugt habe: dass nämlich alles, was irgendwie schiefgehen kann, auch schiefgeht. Vielleicht lag es an dem Anruf der Wasser- und Elektrizitätswerke, die eine längst fällige Zahlung anmahnten und uns mitteilten, wir hätten genau einundzwanzig Tage Zeit, um den ausstehenden Betrag zu begleichen, ehe sie uns vom Netz trennten. Oder an der Tatsache, dass ich mitbekam, wie Magda, immer wenn sie dachte, ich sehe sie nicht, trotz ihres dick aufgetragenen Rouges blass und verängstigt aussah.
Auf dem Weg nach Hause hole ich meine Wäsche aus der Reinigung ab. Nach meiner großen Aufräumaktion am letzten Wochenende habe ich einen riesigen Müllsack mit verknitterten Klamotten vollgestopft und zusammen mit einigen Sachen von Robyn zum nächsten Fluff and Fold gebracht. Ich liebe Fluff and Fold. Das ist die New Yorker Variante unserer englischen Wäschereien, aber es ist noch viel mehr. Fluff and Fold mit einer herkömmlichen Reinigung gleichzusetzen ist, als würde man einen Aston Martin mit einem Fiat Panda vergleichen: Beide waschen Wäsche, doch der eine hat den Super-Luxus-fünf-Sterne-Service inklusive Waschen, Trocknen, Bügeln und diesem herrlichen Frisch-gewaschen-Duft.
Was eigentlich unglaublich ist, wenn man bedenkt, dass gleich nebenan ein chinesisches Restaurant ist, überlege ich, als ich von dort anschließend noch etwas für Robyn und mich zum Abendessen mitnehme.
»Essen ist da«, brülle ich beim Reinkommen. Ich knalle die Tür hinter mir zu, und sofort schlägt mir ein durchdringendes, süßliches Aroma entgegen.Was ist das für ein Geruch? Ich folge meiner Nase und spaziere in die Küche, die in Kerzenlicht getaucht ist. Robyn sitzt am Küchentisch über ein großes gebundenes Buch gebeugt, so dick wie ein Telefonverzeichnis. In der rechten Hand hält sie ein brennendes Salbeisträußchen, das sie über ihrem Kopf schwenkt.
Wenn ich bedenke, dass meine Mitbewohner früher, wenn ich nach Hause gekommen bin, vor der Glotze saßen und Coronation Street guckten .
Als sie mich hört, schaut sie plötzlich auf, mit wirrem Blick und zerzausten Haaren.
»Ich habe einen Zauber gefunden!«
Vor ein paar Wochen hätte ich daraufhin noch vor Schreck mein Gemüse Chow Mein auf den Linoleumboden fallen lassen, aber so langsam gewöhne ich mich an Robyn und ihre merkwürdigen Marotten. Wobei, eine Traumtafel ist ja schön und gut, aber das hier?
»Einen Zauber?« , wiederhole ich, weil mir sonst nichts Besseres einfällt.
Na ja, das oder: »Oho, was denn, erzähl mal!«, und noch bin ich nicht völlig verrückt.
»Ja! Hier drin!«, ruft sie siegesgewiss und hält das Buch in die Höhe, das einen tiefroten Einband hat, auf den in goldenen Lettern die Worte »Zauber- und Bannsprüche« eingeprägt sind. »Das habe ich mir von meiner Freundin Wicker ausgeliehen, die ist in dem Trommelkreis, zu dem ich immer gegangen bin«, fährt sie ganz aufgeregt fort. »Na ja, irgendwas
musste ich ja tun. Ich weiß, deine Schwester glaubt, dass ihr Plan aufgehen wird, aber ich fürchte, so einfach ist das nicht, wenn man es mit den Mächten des Universums zu tun hat.«
Ich lasse meinen Wäschesack fallen, räume ein Fleckchen auf dem Küchentisch frei für das Essen und fange an, die kleinen rot-weißen Kartons auszupacken.
»Also, ich habe mir gedacht, ich will Kate ja nicht widersprechen«, meint sie, ein Widerspruch in sich, »aber wenn es um Gewalten geht, die man nicht versteht, dann braucht es ein bisschen mehr als bloß einen Handzettel.« Verächtlich rümpft sie die Nase. »Hier geht es nicht um Gesetze – hier geht es um alte Legenden!«
Worauf eine kleine Pause entsteht und mir aufgeht, dass dies die Gelegenheit für mich ist, etwas zu sagen. Irgendwas.Wenn ich allerdings ganz ehrlich bin, habe ich keinen Schimmer, was ich darauf sagen soll.
»Es nennt sich der »Weg mit Schaden«-Zauber, und damit wird man unerwünschte Verehrer los.« Sie schaut mich mit blitzenden Augen an. »Ist das zu fassen?«
»Nein, das ist nicht zu fassen«, sage ich, als ich die Sprache wiedergefunden habe. »Und zwar, weil du vollkommen verrückt bist!« Ich wedele mit einer Serviette herum. »Also ehrlich, Robyn, Zaubersprüche ? Das ist doch Wahnsinn!«
Robyn zieht die Augenbrauen hoch. »Ich glaube, dafür ist es jetzt
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