Träumst du noch oder küsst du schon?: Roman (German Edition)
wie eine Woge, mein Magen kribbelt und flattert, und ich muss tief Luft holen, damit meine Stimme sich nicht überschlägt. »Zuerst muss ich dir die Legende von der Seufzerbrücke erzählen …«
Drittes Kapitel
»Wahnsinn, wie romantisch.« Robyn stößt einen tiefen Seufzer aus.
Am Ende meiner Geschichte angekommen, kehre ich langsam wieder in die Bar zurück. Die Ellbogen auf die Theke gestützt und das Kinn in die Hände gelegt, macht Robyn ein seltsam verträumtes Gesicht. Fast wie in Trance.
Und sie ist nicht die Einzige, wie ich dann feststellen muss, denn etliche Leute entlang der Bar haben ihre Gespräche eingestellt. Beim Anblick meiner gefesselten Zuhörerschaft bekomme ich einen hochroten Kopf, und ich schaue mich betreten um, nur um auch hinter mir einen ganzen Tisch voller Mädels zu sehen, die mich ebenfalls erwartungsvoll anschauen.
»Und habt ihr euch dann unter der Brücke geküsst?«, fragt eine von ihnen, die Augen mit den dick getuschten Wimpern weit aufgerissen.
Mir brennen die Wangen vor Scham. Ich habe noch nie gerne vor großem Publikum geredet, und nun stehe ich plötzlich hier und doziere vor der versammelten Belegschaft einer New Yorker Cocktailbar.
»Also?«, versucht die rothaarige Freundin des Mädels mir den Rest der Geschichte aus der Nase zu ziehen, während sie erwartungsfroh ihr Martiniglas an den Busen drückt.
Meine Gedanken kehren zurück zu diesem Abend vor vielen, vielen Jahren. »Wir hatten nicht genug Geld. Damals waren wir chronisch pleite …«
Ein kollektives enttäuschtes Raunen ist von der Menge zu vernehmen.
»… aber Nathaniel hat einen der Gondolieri mit Gras bestochen«, vollende ich den Satz und muss lachen beim Gedanken an den jungen Italiener in seinem gestreiften Oberteil, wie er zugedröhnt und kichernd dastand.
»Und der hat euch dann gefahren?«
Die Frage kommt von einer männlichen Stimme, und als ich mich umdrehe, sehe ich einen etwas korpulenten Bankertypen mit gelockerter Krawatte. Die Hoffnung auf ein Happy End steht ihm deutlich sichtbar ins Gesicht geschrieben.
»Hört endlich auf, sie dauernd zu unterbrechen«, zischt jemand laut.
»Wir haben uns also bei Sonnenuntergang getroffen …«, fahre ich fort, und sofort habe ich das Bild des orange flammenden Himmels vor Augen. Bunte Farbstreifen leuchteten am Horizont und ließen die uralten venezianischen Gebäude ringsum wie im Feuerschein erglühen. Ich habe schon so manchen Sonnenuntergang erlebt, vorher und auch nachher, aber noch nie schien einer so besonders und außergewöhnlich wie dieser. »… und dann ruderte er uns hinaus auf den Kanal.«
Als sei es gestern gewesen, sehe ich Nates Hand, die mir in die Gondel hilft, spüre seinen Arm um meine Schultern, als wir uns auf dem abgewetzten Samtkissen aneinanderkuscheln, höre das Wasser ans Kanalufer plätschern.
»Und just in dem Augenblick, als die Glocken anfangen zu läuten, erreichen wir die Brücke …«
Für einen Augenblick bin ich wieder dort. Wie ein fernes Echo erfüllen die Geräusche der Stadt die warme Abendluft, und ich schaue Nate an, und er streicht mir das Haar aus dem Gesicht, und wir lachen wie zwei frisch Verliebte. Denn das sind wir ja schließlich: frisch verliebt.
»Und du meinst, das funktioniert wirklich?«, fragt Nate mich, und um seine Augen erscheinen tausend kleine Fältchen, als er mich anlacht.
Strahlend schaue ich zu ihm auf, sehe ihm tief in die Augen, die blauen Augen mit den dunkelgrauen Pünktchen in der Iris und den hellblonden Wimpern. Ich will jede Kleinigkeit in mich aufsaugen. Ich will nichts davon jemals wieder vergessen.
»Das hoffe ich doch.« Ich erwidere sein Lächeln, schmiege mich an seinen Hals und atme den weichen, warmen Duft seines alten T-Shirts und der Secondhand-Lederjacke ein. Obwohl es ein milder Abend ist, musste er sie unbedingt anziehen, wie immer.
»Du meinst nicht, das ist ein fieser Trick von diesem alten Mann, und wir werden unter der Brücke ausgeraubt?«
»Ausgeraubt?«, lache ich und gucke ihn spöttisch an. »Von wem denn?«
Worauf er auf den Gondoliere weist und eine theatralisch furchterregende Fratze schneidet.
»Du spinnst ja«, kichere ich.
»Das sagst du jetzt, aber wart’s nur ab …« Er kommt ganz nahe an mein Ohr und wispert: »Hast du denn nicht Der Pate gesehen?« Und dann fährt er sich mit dem Finger über den Hals und macht ein Geräusch, als würde ihm die Kehle durchgeschnitten.
Ich pruste los und boxe ihn in die
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