Träumst du noch oder küsst du schon?: Roman (German Edition)
Rippen.
»Autsch«, fiept er und lässt sich rückwärts in die Kissen plumpsen. »Du hast aber einen fiesen rechten Haken. An deiner Stelle wäre ich damit sehr vorsichtig.« Und dann nimmt er meine geballte Faust und hält sie fest.
»Mhm«, nicke ich und sehe ihm in die Augen.
»Sehr, sehr vorsichtig.« Und er fängt an, ganz langsam meine Finger zu lösen, bis meine Hand ausgestreckt in seiner liegt, und dann fährt er mit den Fingerspitzen die Linien meiner Handfläche entlang.
Ich lasse es geschehen, lehne mich zurück und genieße das Gefühl seiner Finger, die über meine Hand streichen, und spüre,
wie die Atmosphäre sich sachte verändert, wie mit einer Sommerbrise. Seine Berührungen sind zart, federleicht, sanft, und doch ist es, als jagten Tausend-Volt-Stromstöße durch meine Adern. Nun weiß ich, was man damit meint, wenn es heißt, dass es zwischen zwei Menschen funkt. Mir kommt es vor, als knistere die Luft zwischen uns und man hätte mich gerade an eine Steckdose angeschlossen. Ich fühle mich lebendig wie nie. Als hätte ich die ersten neunzehn Jahre meines Lebens verschlafen, und erst Nate hätte mich aus meinem Schlummer geweckt.
»Hey, hörst du das?«
Nates Stimme reißt mich aus meinen Gedanken. Er hat den Kopf schiefgelegt und guckt sich um, während sich ein breites Lächeln auf seinem Gesicht ausbreitet.
»Was …«, setze ich an, doch er legt mir einen Finger auf die Lippen.
»Pst, hör mal.«
Die warme Abendluft umschmeichelt uns wie ein kuscheliges Daunenkissen, und in den Duft von Rotwein und frisch gebackener Pizza, von Zigaretten und Aftershave mischt sich der Klang von Musik, Stimmengewirr, das Klappern von Geschirr aus einer Wohnung über dem Kanal, wo eine Frau gerade den Abwasch macht …
Und noch etwas.
Aus der Ferne höre ich es. Ich spitze die Ohren. Sind das …? Könnte es wirklich sein, dass …?
»Glocken« , flüstere ich verzückt, und plötzlich kribbelt es überall. Schnell schaue ich Nate an. Seine Augen funkeln vor Aufregung.
»Jetzt oder nie.« Er grinst, und in meinem Magen startet ein ganzer Schmetterlingsschwarm. »Los geht’s.«
Beim sanften Läuten der Glocken, das der Wind zu uns herüberträgt, schauen wir auf und sehen vor uns die Brücke.
Majestätisch spannt sie sich über den Kanal und glüht im goldenen Sonnenlicht; der weiße Marmor ist wie eine jungfräuliche Leinwand für die untergehende Sonne. Zinnoberrote Streifen mischen sich mit Umbratönen und gelbem Ocker, die einen schillernden Regenbogen über das Wasser malen. Langsam treiben wir darauf zu, beide gespannt, erwartungsvoll, lachend, verliebt …
Näher und immer näher …
Und dann verschwindet der Gondoliere im Schatten, und wir gleiten gemächlich unter die Brücke. Zentimeter um Zentimeter um Zentimeter. Uns bleiben nur noch ein paar Sekunden. Unsere Blicke treffen sich. Unser Lachen verstummt. Die Neckereien hören auf. Die Welt bleibt stehen.
In diesem Bruchteil einer Sekunde passiert alles ganz langsam. Wie bei einem Film, der nur noch in Zeitlupe abläuft, bis das Bild einfriert. Nur noch Nate und ich. Wir beide. Die einzigen Menschen auf der ganzen weiten Welt.
Zwei Teile eines Ganzen … Wie aus dem Nichts höre ich die Stimme des alten Italieners in meinem Kopf, und es läuft mir eiskalt den Rücken herunter. Man ist in ewiger, immerwährender Liebe miteinander verbunden. Man bleibt für alle Zeiten zusammen, und nichts kann die Liebenden je wieder trennen. Während seine Stimme in meinem Kopf nachhallt, wird die Luft plötzlich kühler, und ich bekomme eine Gänsehaut.
Irgendwas hat sich verändert. Da ist so eine Energie. Eine Gewissheit. Ein überwältigendes Gefühl, das mich umfängt und das ich nicht beschreiben kann. Es fühlt sich an wie … wie …
Ich schaue Nate an. Er beugt sich zu mir herunter … Die Glocken läuten … Der Himmel glüht … und es schnürt mir die Brust zu, so fest, dass ich fürchte zu zerplatzen vor Freude und Glück und Aufregung, als er mich fest an sich zieht und mir zuflüstert, dass er mich liebt.
Wie Zauberei. So fühlt es sich an.
Es fühlt sich an wie Zauberei.
»Und?«
Unsanft lande ich wieder in der Wirklichkeit und sehe den Barkeeper stocksteif hinter der Theke stehen. Mit eisernem Griff hält er den Zapfhahn umklammert, während er ungeduldig auf das Ende der Geschichte wartet.
Ein warmes, wohliges Gefühl umfängt mich. »Und dann haben wir uns geküsst«, entgegne ich schlicht und ergreifend.
Fast
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