Träumst du noch oder küsst du schon?: Roman (German Edition)
rechts.«
»Prima. Danke«, sage ich lächelnd.
»Kein Problem.« Er nickt, dann ruft er mir hinterher: »Hey, Lady.«
Ich bleibe stehen und drehe mich um und sehe, wie er gerade einen großen Schluck Bier trinkt und mich dann mit einem zahnlosen Grinsen anstrahlt.
»Gucken Sie sich die Rothkos an. Die sind der Hammer.«
Wow.
Das ist so ziemlich der einzige zusammenhängende Gedanke, zu dem ich fähig bin, als ich drei gigantische rote Banner mit dem »MoMA«-Schriftzug in der Sommerbrise flattern sehe. Wow . Alles ist wow. Dieses eindrucksvoll moderne Glasgebäude mit dem fantastischen lichtdurchfluteten Eingangsbereich, den riesigen, offen angelegten Treppenhäusern und den nur aus Fenstern bestehenden Wänden. Wow. Und dann
die fünf Stockwerke voller Gemälde, Skulpturen, Zeichnungen, Drucke, Fotografien … und allen möglichen atemberaubenden Arbeiten. Wow . Es ist, als betrete man einen fremden Planeten. Kaum bin ich von der hektischen, belebten Straße hereingekommen und stehe in den kühlen, weitläufigen weißen Räumen drinnen, kommt es mir vor, als sei ich in Narnia gelandet. In einer Welt, in der die Zeit stillsteht und alles andere unwichtig ist.
Sogar ein Streit mit dem Liebsten.
Den ganzen Tag schlendere ich von Ausstellungsraum zu Ausstellungsraum und sauge alles in mich auf wie ein Schwamm. Einer der Räume ist kreisrund, und in der Mitte steht ein ebenfalls rundes Lichtobjekt, in das man hineingehen und die in sanftem Fluss wechselnden Farben bewundern kann. Es ist wunderschön und lustig, und ich muss lachen, als ich sehe, dass sogar ein Kleinkind im Kinderwagen der Faszination der Farben erliegt, die Augen ganz groß vor Staunen, während aus Blau langsam Grün wird, dann Gelb und dann Rot, und das Baby schließlich ein lautes, verzücktes Gurgeln von sich gibt.
Ein anderer Raum ist von oben bis unten mit Comics bekritzelt, ein weiterer mit weichen weißen Federn ausgekleidet, noch ein anderer wartet mit einer ganzen Stadt aus recycelten Dosen auf. Und dann erst die Gemälde: Matisse, Pollock, Dalí, Rothko … Vor einem davon bleibe ich stehen und muss lächeln. Der Penner hatte recht. Sie sind der Hammer.
Ganz in meine eigene Welt versunken, verliere ich jedes Zeitgefühl, bis ich irgendwann aufschaue und merke, wie voll es geworden ist. Als ich hereingekommen bin, hatte das Museum gerade erst geöffnet und war noch ganz leer, aber jetzt tummeln sich Menschen unterschiedlichster Couleur. Horden von Schulkindern, eine kleine alte Dame, Mütter mit ihren kleinen Kindern, ein Punker mit Irokesenfrisur, Scharen japanischer
Touristen mit den obligatorischen Kameras, ein paar Kunststudenten, die Skizzen anfertigen …
Und er.
Der ungeladene Vernissagenbesucher.
Ich bleibe wie angewurzelt stehen. Was macht der denn hier? Hier gibt es doch weder Gratishäppchen noch Freigetränke. Ich beobachte ihn kurz und versuche mir zu erklären, was der wohl hier zu suchen hat, als er sich vollkommen unerwartet umdreht und mich sieht. Geradewegs und unverblümt guckt er mich an.
So ein Mist.
Schnell hechte ich hinter eine Skulptur aus zwei aufeinander balancierenden Kuben, aber es ist bereits zu spät.
»Hey, da sind Sie ja schon wieder.«
Ich tue, als hätte ich ihn nicht gehört, und konzentriere mich ganz auf das Studium der Skulptur. Als sei ich so hingerissen von diesem außergewöhnlichen Kunstwerk, dass ich ihn nicht gehört habe. Und hoffe inständig, dass er dann einfach weitergeht.
Aber nein, er kommt direkt auf mich zu und tippt mich an.
Wohl eher nicht.
»Ja, bitte?« Entnervt drehe ich mich zu ihm um und gucke ihn angriffslustig an. Er hat genau dieselbe Baseballkappe und dieselbe Jeans mit den beiden großen Rissen an den Knien an wie gestern Abend, trägt aber statt des grünen T-Shirts heute ein weißes mit V-Ausschnitt.
Wobei ich überhaupt nicht darauf geachtet habe, was er anhatte.
»Wir kennen uns … aus der Galerie gestern Abend. Sie haben mich vor die Tür gesetzt.«
»Tatsächlich?« Stirnrunzelnd gucke ich ihn an, als hätte ich nicht die geringste Ahnung, wer er ist, und tue dann, als dämmerte es mir langsam. »Ach ja …«
Ehrlich, meine schauspielerischen Fähigkeiten sind unter aller Kanone. Die Annie war wirklich meine einzige gute Rolle.
»Tja, diesmal können Sie mich nicht an die Luft setzen.« Grinsend kramt er in seiner Hosentasche und hält mir dann eine Eintrittskarte unter die Nase.
»Sie haben sich eine Eintrittskarte für das Museum
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