Träumst du noch oder küsst du schon?: Roman (German Edition)
aussieht, könnte der Joberg-Cohen-Deal möglicherweise noch ein wenig mehr …« Sie bricht ab, als sie sieht, wie ich mit ausdruckslosem Gesicht ins Leere starre. »Interessiert dich das überhaupt?«
»Klar«, protestiere ich. »Brennend.«
Und es würde auch stimmen. Ehrlich. Wenn ich bloß die Hälfte von dem verstehen würde, was sie da von sich gibt.
»Hmm.« Wenig überzeugt mustert sie mich und muss dann plötzlich ein Gähnen unterdrücken. »Wie dem auch sei, alles läuft bestens. Bloß die Arbeitszeiten sind manchmal ganz schön hart.«
Verwundert beäuge ich meine Schwester. Schaut man hinter die Fassade aus Businessanzug und makellos frisiertem Bob, sieht man dunkle Ringe unter ihren Augen und eine steile Falte zwischen den Augenbrauen, die sich so tief eingegraben hat, dass sie schon beinahe eine Furche ist.
»Du sieht ziemlich kaputt aus«, stelle ich fest. »Urlaubsreif.«
Kate guckt mich an, als hätte ich ihr empfohlen, sich einen zweiten Kopf wachsen zu lassen. »Urlaubsreif« , schnaubt sie, als sei schon der Gedanke an Urlaub vollkommen grotesk.
»Wann warst du das letzte Mal ein paar Tage raus aus der Stadt?«, bohre ich beharrlich nach.
Das bringt sie zunächst etwas aus dem Konzept, und ich kann förmlich hören, wie ihr Hirn hektisch zurückspult. »Wir
haben Mom und Dad besucht«, erklärt sie schließlich mit einem siegesgewissen Lächeln.
»Letztes Jahr zu Weihnachten«, stupse ich sie mit der Nase darauf. »Und außerdem, das war bei Mum und Dad . Nicht gerade das, was man sich unter einem erholsamen Kurzurlaub vorstellt.«
»Lucy, ich glaube, du verstehst das einfach nicht«, schimpft sie ungehalten. Hastig streicht sie sich eine Haarsträhne hinters Ohr und reibt sich aufgebracht die Nase. »Im Moment kann ich nirgendwohin. Ich habe viel zu viel um die Ohren.«
»Aber du siehst aus, als müsstest du dringend mal ein bisschen ausspannen«, sage ich und drücke ihren Arm.
»Nein, ich muss nur möglichst schnell Partner in meiner Kanzlei werden«, entgegnet sie wild entschlossen und zieht den Arm weg. »Und wenn ich in diesem Tempo weitermache, stehen die Chancen nicht schlecht, dass ich bei der nächsten Jahreshauptversammlung empfohlen werde.«
Aber ob sie dieses Tempo auf Dauer halten kann?, frage ich mich stumm, während ich mit einem ziemlich unguten Gefühl ihr verkniffenes Gesicht betrachte. Meine Schwester war immer schon arbeitswütig bis zum Umfallen – »Überflieger« steht auf sämtlichen ihrer Schulzeugnisse in Großbuchstaben geschrieben –, aber jetzt übertreibt sie es ein bisschen, selbst für ihre Verhältnisse.
»Was meint Jeff denn dazu?«
Ihre Miene verfinstert sich. »Jeff versteht das. Er weiß, wie wichtig mir das ist.« Sie klappt die Speisekarte auf und erklärt knapp: »Genug, lass uns lieber bestellen. Es wird sonst zu spät«, womit sie mir auf ihre Art zu verstehen gibt, dass das Thema damit abgehakt ist.
Sie winkt den Kellner heran und bestellt für uns beide. Was genau, weiß ich nicht, weil sie das meiste auf Japanisch ordert. »Ach ja, und dann nachher für mich noch eine Miso-Suppe
zum Mitnehmen«, schickt sie am Ende auf Englisch hinterher. »Für Jeff«, erklärt sie an mich gewandt. »Ich habe versprochen, ihm eine Suppe mitzubringen. Ihm geht’s gerade nicht so gut.«
»Wieso, was hat er denn?«, erkundige ich mich besorgt.
»Ach, gar nichts weiter. Bestimmt bloß so ein Vierundzwanzig-Stunden-Virus.« Schulterzuckend nippt sie an ihrem Sake.
»Er sollte mal zu Robyn gehen – die hat für alles ein chinesisches Mittelchen«, schlage ich vor und muss an die vielen Fläschchen denken, die überall in unserer Wohnung verstreut herumstehen. Dauernd stolpere ich über neue Behälter mit eigenartigen, wundersamen Namen wie Großer Gelber Umberfisch und Chinesische Nasenotter.
»Das kann nicht dein Ernst sein!«, japst Kate entsetzt.
»Doch, ehrlich. Ich weiß, du glaubst nicht an so was, aber sie schwört drauf.« Ich halte die Klappe, als ich sehe, wie sie mich mit weit aufgerissenen Augen anstarrt.
»Geht es dir gut? Hast du was im Auge?«
Und jetzt zeigt sie auch noch anklagend mit ihrem Essstäbchen auf mich und verzieht das Gesicht, als bekäme sie keine Luft mehr. Auf einmal geht mir auf, was los ist, und Panik steigt in mir auf.
»Ach du lieber Himmel, hast du dich verschluckt?«
Vor meinem geistigen Auge sehe ich mich schon mitten im Restaurant den Heimlich-Griff anwenden. Mist. Warum habe ich nicht mehr Folgen von
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