Träumst du noch oder küsst du schon?: Roman (German Edition)
erste Wort, das mir in den Sinn kommt, wenn ich meine Schwester beschreiben soll. Manchmal frage ich mich, ob sie mit Worten haushaltet wie manch anderer mit Geld und versucht, sie zu sparen und nicht leichtfertig zu verschwenden.
»Ich glaube, da hast du noch mal Glück gehabt«, fährt sie fort. »Du sparst ein Vermögen an Chiropraktikerkosten.«
»So schlecht bin ich gar nicht«, protestiere ich trotzig.
»Lucy, wie willst du es jemals in die Lotusposition schaffen, wenn du nicht mal die Beine überschlagen kannst? Weißt du noch, damals bei der Schulversammlung?«
Das sieht Kate mal wieder ähnlich, dass sie mich mit der Nase auf einen der peinlichsten Momente meines Lebens stoßen muss. Mit zwölf habe ich mal mit übergeschlagenen Beinen in der Aula gesessen, während unser Direktor vorne eine Ansprache hielt, und dann habe ich plötzlich einen Krampf in den Beinen bekommen und konnte sie nicht mehr bewegen. Letztendlich musste unser Sportlehrer Mr. Dickenson mich aus dem Saal tragen. Ich glaube, diese hochnotpeinliche Geschichte habe ich nie ganz verwunden. Noch Jahre später musste ich mir dumme Sprüche wie »Denk dran: schön die Beine übereinanderschlagen« anhören, was natürlich mit zunehmendem Alter etwas ganz anderes zu bedeuten hatte.
»Entschuldigung. Ihr Sake.«
Ich schaue auf und sehe den Kellner mit einer kleinen Flasche und zwei zierlichen Keramikbechern vor uns stehen. Feierlich stellt er alles auf die Theke.
»Dómo arigató« , murmelt Kate und neigt ehrerbietig das Haupt.
Worauf der Kellner sie anstrahlt. »Dó itashi mashite« , entgegnet er, nickt eifrig und entfernt sich im Rückwärtsgang.
Verdattert starre ich Kate an. »Seit wann kannst du denn Japanisch?«
»Seit die meisten meiner Klienten in Tokio leben«, gibt sie lässig zurück, greift nach der Sake-Flasche und gießt mir etwas ein. »Lerne ich jetzt nebenbei in meiner Freizeit.«
Gespannt wie ein Flitzebogen schaue ich sie an. Meine Schwester erstaunt mich immer wieder. Manchmal frage ich
mich, ob wir wirklich Schwestern sind oder ob es da im Krankenhaus womöglich eine kleine Verwechslung gegeben haben könnte. Ich meine, kann ich wirklich blutsverwandt sein mit jemandem, der Japanisch lernt ? Nebenbei in seiner Freizeit?
Und da dachte ich Dummchen, Freizeit sei dazu da, sich bei Facebook einzuloggen und heimlich über unmögliche Fotos zu geiern, auf eBay Sachen zu ersteigern, die man nicht braucht und die nie richtig passen, und mit Robyn fernzusehen und über anspruchsvolle Themen zu diskutieren wie beispielsweise: »Bestellen wir eine große Pizza und Pizzabrötchen, oder nehmen wir einfach die Riesenpizza mit Extrabelag?«
»Jetzt du. Du musst mir meinen eingießen«, sagt sie und reicht mir die Sake-Flasche. »Angeblich bringt es Glück, wenn man ihn sich gegenseitig einschenkt.«
»Ich dachte, du bist nicht abergläubisch.«
»Bin ich ja auch nicht.« Sie runzelt die Stirn, als wäre das eine persönliche Beleidigung. »Das ist Tradition. Kein Aberglaube. Das ist ein himmelweiter Unterschied.«
»Also, erzähl mal, wie läuft es in der Kanzlei?«, frage ich und wechsle schnell das Thema. »Irgendwelche guten … ähm … Fusionen und Übernahmen in letzter Zeit?«
Es gibt eine idiotensichere Methode, die Laune meiner Schwester schlagartig zu heben: sie nach ihrer Arbeit fragen. Das ist ihr allerliebstes Lieblingsthema, ein echter Dauerbrenner. Wenn es nach ihr ginge, wäre es vermutlich auch ihr einziges Gesprächsthema. Im Gegensatz zu meinen anderen Freundinnen interessiert sie sich nicht die Bohne für das tolle neue Kleid, das man gerade bei Zara ergattert hat, den heißesten Klatsch über Jennifers, Brads und Angies pikante Dreiecksgeschichte oder intime Beziehungsgespräche. Nicht mal über ihre eigene Beziehung.
Ganz ehrlich, intimer als an ihrem Hochzeitstag habe ich sie nie wieder über ihre Beziehung reden hören. Damals wurde
sie gefragt, was das Beste an ihrer Hochzeit mit Jeff sei, worauf sie fröhlich entgegnete: »Unsere neue Wohnung. Mit unseren beiden Gehältern können wir uns endlich eine große Wohnung mit zwei Schlafzimmern leisten.« Was ganz sicher nicht gerade die sentimental-gefühlsduselige Antwort war, die ihr Gegenüber eigentlich erwartet hatte.
»Anstrengend, aber aufregend«, sagt sie, plötzlich Feuer und Flamme. »Der Vorstand ist ganz begeistert vom bisherigen Verlauf der Fusion, was sich in der Wertentwicklung natürlich positiv niederschlägt, aber wie es
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