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Transfer

Transfer

Titel: Transfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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wir nicht brauchen.
    Dann setzte ich mich an die Bücher. Mein Kopf war wie vernebelt. In solchen Fällen mußte ich mich durch jeden Text durchbeißen wie der Holzwurm durch Eichenholz. Aber so schwer ging es noch nie. Zwei Stunden lang wühlte ich in zwanzig Büchern, konnte aber bei keinem länger als fünf Minuten aufmerksam bleiben. Sogar die Märchen verwarf ich. Aber ich nahm mir vor, fest zu bleiben. Ich nahm genau das, was mir am schwersten schien: eine Monographie der Metagenenanalyse und warf mich auf die ersten Gleichungen: Mit dem Kopf durch die Wand.
    Die Mathematik hatte jedoch gewisse heilbringende Eigenschaften, besonders für mich. Nach einer Stunde verstand ich plötzlich- mit halboffenem Mund- und war voller Bewunderung für diesen Ferret - wie er das nur fertigbrachte? Sogar jetzt, nachdem ich den von ihm gangbar gemachten Weg befolgt hatte, weiß ich manchmal nicht ganz, wie das eigentlich zuging; so Schritt für Schritt konnte ich es noch verstehen, er aber hatte das alles mit einem Sprung bewältigen müssen.
    Alle Sterne würde ich dafür geben, einen Monat lang im eigenen Kopf etwas zu haben, das dem, was er darin hatte, auch nur ähnlich wäre…
    Das Signal sang zum Abendessen, zugleich fühlte ich einen Stich im Herzen bei dem Gedanken, daß ich hier nicht mehr allein war. Eine Sekunde lang dachte ich daran, vielleicht doch oben zu essen. Aber dann schämte ich mich dieser Idee. Dieses schreckliche Trikot, das aus mir einen aufgeblasenen Affen machte, warf ich unters Bett, zog meine liebe, alte und weite Jacke an und ging ins Speisezimmer hinunter.
    Die beiden anderen saßen schon am Tisch. Außer einigen Höflichkeitsfloskeln herrschte Schweigen. Denn auch sie sprachen
    eigentlich nicht. Sie brauchten keine Worte. Sie verstanden sich durch Blicke, sie sprach zu ihm durch eine Kopfbewegung, einen Wimpernschlag, ein flüchtiges Lächeln. Langsam begann in mir eine kalte Schwere aufzusteigen. Ich fühlte meine Hände hungrig werden, sie verlangten etwas zu fassen, festzuhalten, zu zerdrük-ken. >Warum bin ich bloß so wild?< dachte ich verzweifelt. >Warum - statt an das Ferret-Buch, an die Probleme zu denken, die von Starck gezeigt wurden- muß ich mich zusammennehmen, um dieses Mädchen nicht wie ein Wolf anzuglotzen?<
    Aber das war noch gar nichts. Einen wirklichen Schreck bekam ich erst, als ich die Tür meines Zimmers oben hinter mir schloß. Im ADAPT wurde mir nach den Untersuchungen gesagt, ich wäre völlig normal. Doktor Juffon sagte mir dasselbe. Konnte aber ein normaler Mensch derartige Gefühle haben wie ich in diesem Augenblick? Woher kam das? Ich war nicht aktiv - ich war nur ein Zeuge. Es geschah da etwas Unwiderrufliches, wie die Bewegung eines Planeten, fast unmerklich, etwas noch Gestaltloses tauchte da langsam auf. Ich trat ans Fenster, sah in den dunklen Garten und begriff, daß dies seit dem Mittagessen schon in mir stecken mußte. Es brauchte nur noch eine gewisse Zeit. Daher war ich in die Stadt gefahren, daher vergaß ich die Stimmen aus der Dunkelheit.
    Zu allem war ich fähig. Für dieses Mädchen. Ich konnte nicht begreifen, warum es so war. Ich wußte nicht, ob das Liebe oder Irrsinn bedeutete. Es war mir egal. Nichts wußte ich, außer daß alles andere nicht mehr für mich zählte. Ich kämpfte damit, am offenen Fenster stehend, wie ich noch nie etwas bekämpft hatte, drückte die Stirn an den kalten Fensterrahmen und bekam schreckliche Angst vor mir selbst.
    Meine Lippen formten lautlos Worte: »Ich muß etwas tun, muß etwas tun. Es ist wohl deshalb, weil mir etwas fehlt. Das wird vergehen. Sie kann mich nicht interessieren. Ich kenne sie ja nicht.
    Sie ist auch nicht besonders hübsch. Ich werde doch nicht«, beschwor ich mich selbst, »…ihr großen, schwarzen und blauen Himmel! «
    Ich machte Licht. Olaf. >Olaf wird mich retten. Ich werde ihm alles sagen. Er nimmt mich mit. Wir werden irgendwohin fahren. Ich werde alles tun, was er mir sagt, alles. Er allein wird es verstehen. Und kommt schon morgen. Wie gut.<
    Ich irrte im Zimmer umher. Spürte sämtliche Muskeln, sie wa-
    ren wie Tiere: spannten sich, kämpften miteinander. Plötzlich fi ich vor dern Bett auf die Knie, biß in die Decke und schrie ganz merkwürdig auf, es war einem Schluchzen nicht ähnlich, trocken, ekelhaft. Ich wollte ja niemandem ein Leid antun, wußte aber, daß ich mich selbst nicht zu belügen brauchte, daß auch Olaf nicht helfen würde, niemand.
    Ich stand auf. Innerhalb von

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