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Transfer

Transfer

Titel: Transfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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zehn Jahren hatte ich gelernt, selbständige Entscheidungen zu treffen. Ich mußte über mein eigenes und das Leben anderer entscheiden und tat es, stets auf die gleiche Art. In solchen Augenblicken war ich voller Kälte, mein Hirn wurde zu einer Vorrichtung, die nur dazu diente, das Für und Wider zusammenzuzählen, zu teilen und unwiderruflich zU entscheiden.
    Sogar Gimma, der mich nicht mochte, gab zu, daß ich unparteiisch war. Jetzt, selbst wenn ich gewollt hätte, könnte ich auch nicht anders vorgehen als damals in extremen Fällen: denn auch dies war ein extremer Fall.
    Im Spiegel fand ich mit den Augen das eigene Gesicht, die hellen, fast weißen Pupillen, die zusammengezogene Iris, ich sah es mit Haß, drehte mich um, konnte nicht einmal daran denken, ins Bett zu gehen. So wie ich dastand, warf ich die Beine über das Fensterbrett. Bis zur Erde waren es vier Meter. Ich sprang und landete fast geräuschlos. Leise lief ich in Richtung Schwimmbek-ken. Und daran vorbei. Ich gelangte auf den Weg.
    Die leicht Phosphoreszierende Fahrbahn zog sich die Anhöhen hinauf, wand sich dort wie eine kleine leuchtende Schlange, bis sie endlich wie ein heller Strich in der Finsternis verschwand. Ich rannte immer schneller, um das so stark und regelmäßig schlagende Herz müde zu machen, rannte fast eine Stunde, bis ich direkt vor mir aufsteigende Lichter irgendwelcher Häuser sah. Sofort machte ich kehrt. Ich war schon erschöpft, behielt aber gerade deshalb das Tempo bei, und wiederholte mir ohne Worte: >Geschieht dir recht, recht, recht!<, lief so und lief, bis ich eine Doppelreihe von Hecken fand - ich war wieder vor dem Garten der Villa.
    Ich hielt am Schwimmbecken inne, schwer keuchend, setzte mich auf den Betonrand, ließ den Kopf hängen und entdeckte die Spiegelbilder der Sterne. Ich wollte keine Sterne sehen. Ich brauchte keine Sterne. Ich war ein Verrückter, ein Irrer, als ich um die Teilnahme an der Expedition kämpfte, als ich zuließ, daß die Gravirotoren aus mir einen blutspritzenden Sack machten, wozu hatte ich das nötig, warum, warum habe ich nicht gewußt, daß man ein gewöhnlicher, ganz gewöhnlicher Mensch sein muß, denn sonst lohnt es sich nicht zu leben.
    Ich hörte ein Geräusch. Sie gingen an mir vorbei. Er umfaßte ihre Schulter, sie gingen im gleichen Schritt. Dann beugte er sich nieder. Die Schatten ihrer Köpfe flossen zusammen.
    Ich stand auf. Er küßte sie. Sie umfaßte seinen Kopf. Ich sah die blassen Streifen ihrer Arme. Dann durchbohrte mich ein noch nie gekanntes, schreckliches Schamgefühl, wie ein ganz realer spitzer Gegenstand. Ich, ein Sternenfahrer, Genosse von Arder, stand nach meiner Rückkehr im Garten und dachte nur daran, einem Mann sein Mädchen wegzunehmen, ohne ihn und ohne sie zu kennen. Ein Rindvieh, ein ausgesprochenes Rindvieh, schlimmer noch, schlimmer…
    Ich konnte nichts sehen. Und sah doch. Endlich gingen sie langsam weg, umarmt, und ich, nachdem ich einmal um das Schwimmbecken gelaufen war, rannte geradeaus, sah plötzlich etwas Großes, Schwarzes und schlug zugleich mit den Händen an etwas. Es war das Auto. Blindlings fand ich die Tür. Als ich sie aufriß, flammte ein kleines Licht auf.
    Nun tat ich alles mit zielbewußter und konzentrierter Eile, als wollte oder müßte ich irgendwohin fahren.
    Der Motor brummte. Ich bewegte das Lenkrad und fuhr im Licht der Scheinwerfer auf die Fahrbahn. Meine Hände zitterten etwas, also faßte ich das Lenkrad fester. Plötzlich erinnerte ich mich an den kleinen schwarzen Kasten, bremste so schnell, daß ich bis an den Wegrand abgeschoben wurde, sprang heraus, hob den Kühler hoch und fing fieberhaft zu suchen an. Vielleicht ganz vorne? Kabel. Ein Gußeisenblock. Eine Kassette. Irgend etwas Unbekanntes, Viereckiges - ja, das wird es sein. Werkzeuge her. Ich arbeitete stürmisch, aber aufmerksam, so daß meine Hände kaum bluteten. Endlich hob ich mit beiden Händen diesen schweren, fast wie aus einem Stück bestehenden schwarzen Kubus und warf ihn ins nahe Gebüsch. Ich war frei. Ich schlug die Tür zu und fuhr los. Der Fahrtwind wurde stärker. Die Geschwindigkeit stieg an. Der Motor heulte, die Reifen zischten dumpf, durchdringend. Eine Kurve. Ich nahm sie, ohne das Tempo zu verlangsamen, schnitt sie von links an, kam wieder heraus. Eine zweite, stärkere. Ich fühlte, wie eine Riesenkraft
    mich mitsamt dem Wagen aus der Kurve drückte. Aber es wa mir immer noch zu wenig. Die nächste Kurve. In Apprenous gab es

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