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Transfer

Transfer

Titel: Transfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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als ob sie Wunden wären; und als Antwort knisterte nur etwas in den Kopfhörern, und ein kicherndes Geräusch kam, in das die Protuberanzflammen von meiner Apparatur verwandelt wurden, und das war Arder, sein Gesicht, sein Körper und seine Rakete in ein strahlendes Gas verwandelt - und Thomas? Der verschollene Thomas, von dem keiner wußte, daß…
    Und Ennesson? Wir vertrugen uns schlecht - ich konnte ihn eigentlich nicht leiden. Aber in der Druckkammer kämpfte ich mit Olaf, der mich nicht hineinlassen wollte, weil es schon zu spät war: was war ich da bloß edelmütig, ihr großen, schwarzen und blauen Himmel… Es war aber gar kein Edelmut, sondern nur eine Frage des Preises. Jawohl. Denn jeder von uns war unbezahlbar, das menschliche Leben erlangte seinen höchsten Wert dort, wo es schon gar keinen mehr haben konnte, wo es nur von einer dünnen, fast nicht mehr existierenden Schicht vom Ende abgegrenzt war. Dieses Drähtchen oder dieser Kontakt in Arders Radio. Diese Verspleißung in Venturis Reaktor, die Voss nicht ausreichend überprüfte - vielleicht hat sie sich plötzlich gelöst, denn das gibt es ja doch auch, die Metallermüdung - und Venturi hörte dann innerhalb- weiß ich- von fünf Sekunden zu existieren auf. Und Thurbers Rückkehr? Und die wundersame Rettung Olafs, der sich verirrt hatte, als seine Richtungsantenne durchbohrt worden war - wann? Auf welche Art? Keiner wußte es.
    Olaf kam wieder- durch ein Wunder. Ja, einer pro eine Million.
    Und was für ein Glück hatte ich selber doch! Was für ein außergewöhnliches, unmögliches Glück… Mein Arm war eingeschlafen, es gab mir aber ein unbeschreibliches, gutes Gefühl. >Eri<, sagte ich in Gedanken, >Eri.< Wie die Stimme eines Vogels. So ein Name! Vogelstimme… Wie haben wir Ennesson angebettelt, Vogelstimmen zu imitieren. Er konnte das. Und wie er das
    konnte! Und als er umgekommen war - und mit ihm alle diese Vögel…
    Doch schon wurde das alles verworren, ich sank, ich schwamm durch die Finsternis. Im letzten Augenblick vor dem Einschlafen schien mir, ich wäre dort, auf meinem Platz, in der Koje, tief, ganz dem eisernen Boden nah, und neben mir lag der kleine Arne -da wurde ich für einen Augenblick wieder wach. Nein, Arne lebte nicht mehr, und ich war auf der Erde. Das Mädchen atmete leise.
    »Sei gesegnet, Eri«, hauchte ich, sog den Geruch ihrer Haare ein und schlief auch schon.
    Ich öffnete die Augen, ohne zu wissen, wo und gar neben wem ich war. Dunkles Haar, das auf meiner Schulter lag - ich spürte es nicht, als ob es etwas Fremdes wäre -, machte mich stutzig. Es war nur ein Sekundenbruchteil. Im nächsten wußte ich alles. Die Sonne war noch nicht aufgegangen, milchweißer Morgen, ohne einen Tropfen von Morgenröte, klar und durchdringend kalt, stand in den Fenstern. Ich sah in diesem allerfrühesten Licht Eris Gesicht so, als sähe ich es zum ersten Mal. Sie schlief fest, atmete mit festgeschlossenen Lippen, es war ihr wohl nicht sehr bequem auf meiner Schulter: denn sie schob eine Hand unter den Kopf und bewegte ab und zu ganz leicht die Augenbrauen, als wunderte sie sich immer wieder. Diese Bewegung war ganz gering, ich sah ihr aber aufmerksam zu, als ob auf diesem Gesicht mein eigenes Los geschrieben stünde.
    Ich dachte an Olaf. Fing an, äußerst vorsichtig, meinen Arm zu befreien. Diese Vorsicht erwies sich als gänzlich unnötig. Sie schlief einen festen Schlaf, träumte auch - ich hielt inne, versuchte nicht so sehr den Traum zu erraten, sondern nur, ob es kein böser war. Ihr Gesicht war fast kindlich. Nein, böse war der Traum sicher nicht. Ich rückte von ihr ab, stand auf. Ich war im Bademantel, so wie ich mich hingelegt hatte. Barfuß trat ich in den Gang, schloß leise die Tür, sehr langsam und mit der gleichen Vorsicht sah ich in Olafs Zimmer hinein. Das Bett war unberührt. Er saß am Tisch, den Kopf in die Hand gestützt, und schlief. Er hatte sich nicht ausgezogen, so wie ich es mir gedacht hatte. Was ihn aufwachen ließ, weiß ich nicht - mein Blick etwa? Plötzlich sah er mich durchdringend mit seinen hellen Augen an, streckte und reckte sich ausgiebig.
    »Olaf«, sagte ich, »sollte ich auch hundert Jahre lang… «
    »Halt’s Maul«, schlug er mir äußerst freundlich vor. »Hal, du hattest ja immer schon schlimme Neigungen…«
    »Fängst du wieder an? Ich wollte dir nur sagen…«
    »Ich weiß, was du sagen wolltest. Weiß immer, was du sagen willst, eine Woche im voraus. Hätten wir auf dem

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