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Transfer

Transfer

Titel: Transfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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verschiedene Dinge hörte und erfuhr.., genug. Hab’ schon genug geredet. Viel zuviel. Nie im Leben war ich so geschwätzig. Sprich du, Eri. Sprich.«
    Ich setzte mich aufs Bett.
    »Hab’ schon nichts mehr.., wirklich. Nur… weiß ich nicht…«
    »Was weißt du nicht?«
    »Was nun werden wird…«
    Ich neigte mich zu ihr. Sie sah mir direkt in die Augen. Ihre Lider bewegten sich nicht. Unser Atem vermischte sich.
    »Warum hast du dich küssen lassen?«
    »Ich weiß nicht.«
    Mit den Lippen berührte ich ihre Wange. Dann ihren Hals. Ich lag so, den Kopf an ihrer Schulter, biß mit aller Kraft die Zähne zusammen. So habe ich es noch nie erlebt. Ich wußte nicht einmal, daß es so sein kann. Ich wollte weinen.
    »Eri«, flüsterte ich stimmlos, nur mit den Lippen. »Eri. Rette mich! «
    Sie lag reglos da. Ich hörte, wie aus einer großen Entfernung, ihre schnellen Herzschläge. Ich setzte mich wieder.
    »Wenn…«, hub ich an, fand aber nicht den Mut, diesen Satz zu beenden. Ich stand auf, hob die Lampe hoch, stellte den Schreibtisch an seine Stelle, stolperte über etwas - es war ein Fahrtenmesser. Es lag auf dem Boden. Ich warf es in den Koffer. Drehte mich um.
    »Ich mach das Licht aus«, sagte ich, »ja?«
    Keine Antwort. Ich berührte den Schalter. Die Finsternis war vollkommen, nicht einmal im offenen Fenster waren irgendwelche, auch nicht die entferntesten Lichter zu sehen. Nichts.
    Schwarz. Alles. So schwarz, wie es manchmal im All gewesen war. Ich schloß die Augen. Die Stille rauschte.
    »Eri…«, flüsterte ich. Sie antwortete nicht. Ich spürte ihre Angst. Ging im Dunkel auf das Bett zu. Versuchte ihren Atem
    zu hören, aber nur die Stille klang mit einem allumfassenden Ton, als ob sie sich in dieser Finsternis materialisierte. Sie wurde zu ihr, zu Eri. >Ich sollte hier fort<, dachte ich. >Ja. Werde gleich gehen.< Aber ich bückte mich und fand mit einem Male, hellseherisch, ihr Gesicht. Sie hörte zu atmen auf.
    »Nein«, hauchte ich. »Nichts. Wirklich nichts.«
    Ich berührte ihr Haar. Streichelte es mit meinen Fingerspitzen, erkannte es, noch so fremd, so unerwartet. So sehr wollte ich das alles verstehen. Aber vielleicht gab es da nichts zu verstehen?
    Was für eine Stille. Schlief Olaf wohl schon? Kaum. Saß wahrscheinlich da, lauschte. Wartete. Also hin zu ihm. Aber ich konnte es nicht. Nein. Ich legte meinen Kopf an ihre Schulter. Ein Ruck, und schon war ich beiihr. Ich spürte, wie ihr ganzer Körper steif wurde. Sie schob mich zurück.
    Ich flüsterte: »Keine Angst.«
    »Nein.«
    »Du zitterst.«
    »Nur so.«
    Ich umarmte sie. Die Last ihres Kopfes auf meiner Schulter verschob sich bis in die Ellenbogenbiegung. Wir lagen beieinander, und es gab die schweigende Finsternis.
    »Spät schon«, murmelte ich. »Sehr spät. - Du mußt schlafen.
    Bitte. Schlaf.«
    Ich wiegte sie allein durch eine langsame Anspannung meiner Schulter. Sie lag still, doch spürte ich die Wärme ihres Körpers und Atems. Der ging schnell. Und ihr Herz schlug Alarm. Langsam, nur langsam wurde es ruhiger. Sie mußte sehr müde sein. Ich horchte erst mit offenen, dann mit geschlossenen Augen, denn so schien ich besser zu hören. Ob sie schon schlief? Wer war sie? Warum bedeutete sie mir soviel? Ich lag in dieser Finsternis, vom Wind hinter dem Fenster angeweht, der manchmal in den Vorhängen raschelte. Ich war von reglosem Staunen erfüllt. Ennes-son. Thomas. Venturi. Arder. Also deshalb gab es das alles? Deshalb? Eine Handvoll Staub. Dort, wo niemals ein Wind weht. Wo es weder Wolken noch Sonne, noch Regen, überhaupt nichts gibt, und zwar so wörtlich, als ob es nicht möglich wäre, als ob es sich nicht einmal denken ließe. Und ich bin dort gewesen? Wirklich?
    Ja - wozu?
    Nichts wußte ich nun mehr, alles floß zu einer gestaltlosen Finsternis zusammen- ich erstarrte. Sie zuckte zusammen. Langsam
    drehte sie sich auf die Seite. Ihr Kopf blieb aber auf meiner Schulter. Sie murmelte ganz leise etwas und schlief weiter.
    Ich versuchte mir die Chromosphäre von Arkturus vorzustellen. Einen riesenhaften gähnenden Raum, über den ich geflogen Und geflogen bin, mich wie auf einem schrecklichen, unsichtbaren Feuerkarussell drehend, mit tränenden, verschwollenen Augen und teilnahmslos immerfort wiederholend: >Sonde, Null, Sieben. Sonde, Null, Sieben. Sonde, Null, Sieben<, Tausende und aber Tausende Male, so daß später allein schon der Gedanke an diese Worte mich zum Zusammenzucken brachte. Sie waren mir eingebrannt worden,

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