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Transit

Transit

Titel: Transit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Seghers
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Heimatstadt.
    Ja, alles war immer nur durch mich durchgegangen. Deshalb trieb ich mich auch noch immer unversehrt in einer Welt herum, in der ich mich allzu gut auskannte. Ja, sogar jener Ausbruch von Wut, der damals in meiner Heimat über mein Leben entschieden hatte, auch er war nur vorübergehend. Ich blieb nicht auf der Höhe der Wut, ich trieb mich herum, meine Wut verrauchte. Mir selbst gefällt nur, was hält, was anders ist, als ich bin.
    Mein Herz war traurig und bang, als ich vor der Tür des Mannes stand, der an den Gewissen der Konsuln rüttelte. Ich fragte mich, wie er aussehen möge. Doch gab es hier auch erst noch ein Vorzimmer, auch noch eine Wartezeit.
    Da wurde die letzte Tür geöffnet. Der kleine Mann, der sich hinter den Schreibtisch zurückzog, war eben der zarte, großköpfige Amerikaner, der sich vorhin beim Portier beschwert und statt des Lifts die Treppe benutzt hatte. In seinem großen Kopf saß ein kleines Gesicht. Es war ein wenig zerknittert. Er hatte einen scharfen Blick. Er ritzte an mir entlang, vom Kopf bis zu den Füßen. Auf seinem Tisch lag das Empfehlungsschreiben des Imstichlassers, das ich heraufgeschickt hatte. Er las es mit ungeheurer Aufmerksamkeit, als käme ihm aus den Zeilen selbst eine Eingebung und das Verständnis aller Zusammenhänge. Dann sah er mir wieder scharf ins Gesicht,daß es stach. Er sagte: »Der Brief bezieht sich gar nicht auf Ihre Person. Warum kommen Sie statt der Frau?«
    Ich fühlte, daß dieser Mann beinahe noch klüger war als der Konsul. Ich antwortete demütig: »Verzeihen Sie bitte, ich komme an Stelle der Frau. Ich bin ihre einzige Stütze.«
    Er seufzte und bat mich um alle Papiere. Er sah sie ebenso aufmerksam durch wie den Brief. Man merkte ihm an, daß er Tausende solcher Papiere durchsuchen konnte, ohne seine Aufmerksamkeit zu erschöpfen. Ich staunte, wieso ihm, gerade ihm, die Wahrheit aus einem Bündel Papier offenbart wurde. Doch waren sie schließlich nicht weniger dürr als der Dornbusch, in dem Gott auch einmal jemand erschienen war. Ich legte ihm auch das rotgebänderte Transit auf den Tisch und Mariens Konvokation. Er sagte: »Sie möchten mit dieser Frau auf einem Schiff abreisen?«
    Ich rief: »Nichts lieber.« Er runzelte die Stirn. Er sagte: »Die Frau trägt nicht Ihren Namen, warum nicht?« – Sein Blick war so streng, seine Aufmerksamkeit war so echt, was hätte ich anders erwidern können als die Wahrheit? »An mir lag es nicht. Die Umstände waren dagegen.«
    Er fragte: »Und was gedenken Sie künftig zu tun? Was sind Ihre Pläne? Ihre neue Arbeit?« Sein Blick war wie eine Zange, ich antwortete: »Ich werde versuchen, ein Handwerk auszuüben.«
    Er sagte ein wenig verwundert, mit einer Spur von Teilnahme: »Wie denn, Sie wollen kein Buch schreiben?« – Da brach es aus mir heraus unter seinem strengen Blick, der die Wahrheit forderte, die volle Wahrheit: »Ich? Nein. Ich will Ihnen sagen, was ich darüber denke. Als kleiner Junge habe ich öfters Schulausflüge gemacht. Die Ausflüge waren soweit ganz lustig. Doch leider, am nächsten Tag kam der Lehrer und gab uns als Klassenaufsatz das Thema: ›Unser Schulausflug.‹ Und nach den Ferien gabes immer als Aufsatz: ›Wie ich die Ferien verbrachte.‹ Und selbst nach Weihnachten, nach dem heiligen Christfest, gab es als Aufsatz: ›Weihnachten.‹ Da kam es mir schließlich vor, ich erlebte den Schulausflug, meine Ferien, Weihnachten nur, um darüber den Klassenaufsatz zu schreiben. Und all diese Schreibenden, die mit mir in einem Lager steckten, die mit mir flohen, für die sind plötzlich die furchtbarsten und die seltsamsten Strecken unseres Lebens bloß durchlebt, um darüber zu schreiben: das Lager, der Krieg, die Flucht.«
    Er machte sich irgendeine Notiz und sagte mit einem Schimmer von Güte: »Das ist ein schwerwiegendes Geständnis für einen Mann wie Sie. Was wollen Sie denn für ein Handwerk ergreifen?« – »Ich habe Begabung für Feinmechanik.« – Er sagte darauf: »Sie sind noch nicht alt. Ihr Leben ist noch durchaus zu verändern. Ich wünsche Ihnen Glück.« – Ich rief: »Mein Glück ist fragwürdig ohne die Frau. Ach, wenn Sie wirklich helfen könnten. Ihr Wort hat ethisches Gewicht.« Er lächelte und sagte: »In wenigen Fällen. Mit Gottes Hilfe. Ich bitte Sie, nehmen Sie alle Papiere zurück bis auf die Konvokation der Frau. Ich sehe den Konsul heute abend in unserer gemischten Kommission. Beruhigen Sie sich bitte!«
III
    Ich stieg zum Fort

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