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Transit

Transit

Titel: Transit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Seghers
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uns um die Frau gestritten, die immer entschlossen gewesen war. Sie war nur geblieben, solange sie wollte, und jetzt, da sie fahren wollte, würde es rasch gehen, uneinholbar rasch, wenn ich nicht sofort für uns beide handelte. Ich erwog sogar, ob ich nicht noch einmal zum amerikanischen Konsul hinaufsteigen solle. Ich zerbrach mein Gehirn nach einem Einfall, womit ich aus dem anderen Gehirn, dem konsularischen, einen Funken Einsicht herausschlagen konnte. Mir kam kein brauchbarer Gedanke außer dem einzigen, daß es sicher nie auf der Welt einen unbestechlicheren Beamten gegeben hat. In seiner Weise gerecht, versah er sein schwieriges Amt, wie ehemals am selben Ort ein römischer Beamter die Abgesandten der fremden Stämme empfing mit ihren dunklen, für ihn sinnlosen Forderungen von Göttern, die ihm unbekannt waren. Die Vorladung, einmal eingetragen, mit seinem Namen versehen, war unverrückbar, Gott selbst, wenn es ihn gab, würde eher einen Urteilsspruch zurückziehen,er würde eher einmal seine eigene unerforschliche Weisheit Lügen strafen, da ohnedies, wenn es ihn gäbe, alles bei ihm enden würde. Er brauchte sich ja auch nie zu fürchten, das winzige Zipfelchen Macht, an dem er die um sich schlagende Welt noch hielt, aber festhielt, könnte ihm entgleiten.
    Mit solchen Betrachtungen über die Güte Gottes verbrachte ich auch den nächsten Vormittag. Da fiel mein Blick auf eine Gruppe im Café Source, es war Alkoholtag. Das Paulchen, Paulchens Freundin, der Imstichlasser, das dünne Mädchen, um dessentwillen er jenes andere Mädchen im Stich gelassen hatte, das im Stich gelassene Mädchen, der Kubareisende und seine Frau tranken dort ihren Aperitif. Sie waren sich selbst genug und keineswegs glücklich über meine Begrüßung. Ich war wahrscheinlich für sie ein lästiges, unvermeidliches Anhängsel aus den alten Lagerzeiten.
    Achselroth sagte: »Wie geht es denn deinem Freund, dem Weidel? Er machte, als ich ihn letzthin sah, einen sehr erniedrigten und beleidigten Eindruck.« – »Erniedrigten und beleidigten Eindruck? Weidel?« – »Was siehst du mich denn an? Das soll doch dich nicht beleidigen, wenn ich sage, er machte einen beleidigten Eindruck, als ich ihn gestern sprach.« – »Ihn gestern sprach?« – »Am Telefon.« – »Am Telefon? Weidel?« – »Ach Gott, nein, entschuldige. Bei mir rufen täglich hundert Leute an. Ich bin eine Art Vizekonsul. Jeder braucht einen Rat. Es war ja gar nicht dein Weidel, der diesmal anrief, das war ja der Meidler. Seit fünfzehn Jahren passiert mir immer das Unglück, diese zwei zu verwechseln. Dabei sind sie unter sich wie Hund und Katze. Ich vergesse nie Weidels Gesicht, als ich ihm in Paris aus Versehen zu Meidlers Filmpremiere gratulierte. Ich habe übrigens auch seine Frau diese Woche im Mont Vertoux gesehen. In dieser Beziehung passieren mir keine Verwechslungen. Sie sieht etwas mitgenommen aus, wenn auch immer noch sehr anmutig.«
    »Ich habe mich immer gewundert«, sagte das Paulchen, »wie Weidel zu dieser Frau kam.« Achselroth erwiderte langsam, wobei sich sein schönes Gesicht ein wenig verhärtete: »Er hat sie sicher irgendwo aufgelesen als sehr kleines Mädchen. In einem Alter, in dem die Kinder noch an den Weihnachtsmann glauben. Da hat er ihr allerlei aufgeredet, zum Beispiel, daß Mann und Frau sich lieben.« Er wandte sich an mich und sagte: »Bestellen Sie bitte der jungen Frau meine ergebensten Grüße.«
    Ich fühlte zu meinem Erstaunen und meiner Beunruhigung, daß dieser Mensch in seinem Gedächtnis ein klares Bild von Marie bewahrt hatte, so wie sie in Wirklichkeit beinahe war. Wahrscheinlich war das Gehirn dieses Menschen so angelegt, daß es alles ganz klar verzeichnete, auch das Zarteste und Stillste, so daß er es später aufschreiben konnte, wie auch ein Kurzsichtiger oder Halbblinder eine Apparatur bei sich tragen kann, die alles scharf registriert, astronomische Photographie treibt, wo ein gesundäugiger Mensch beirrt wird von allerlei Nebel und Flecken, die sich dann doch auflösen. Er hatte sicher mit diesem Gehirn die unwahrscheinlichsten und geheimsten Vorgänge registriert, und jetzt war zufällig Marie an der Reihe, und mir wurde bang. Ich dachte aber sofort scharf nach, wie ich diesen Menschen zu Hilfe zwingen könnte. Er dürfte nie etwas tun, ohne auf seine Kosten zu kommen, genau wie mein armer schäbiger Portugiese. Der hatte wenigstens einmal etwas selbstlos getan. Doch Achselroth würde nie etwas tun, nie. Er würde

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