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Transit

Transit

Titel: Transit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Seghers
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hin.
II

    Ein paar Polizisten tummelten sich in der Nähe der Drehtür des Hotels Splendide, und rechts und links waren auffällig ein paar Burschen flankiert, die Zigarren lutschten. Ich sah leidlich aus, ich passierte. Die große Hotelhalle war warm. Vielmehr mir kam erst beim Eintritt zum Bewußtsein, wie kalt es seit Monaten draußen war. Ich wartete in einem Sessel, während mein Brief hinaufgeschickt wurde.
    In unserem Lager am Meer war alles zusammen gewesen, was das gemeinsame Band vereinigte, der Stacheldraht. Verdreckt und verlaust, Helden und Diebe, Ärzte und Schriftsteller und Proleten, vermischt mit den schlechtestbezahlten, zerlumptesten Spitzeln. In dieser großen, warmen, durch Spiegel verzehnfachten Halle waren auch alle beisammen, gepflegt und gebügelt: Herren aus Vichy, Herren von der Deutschen Kommission, italienische Agenten, Leiter der Roten-Kreuz-Kommission, Leiter der großen amerikanischen, ich weiß nicht was, Kommission, und in den Ecken des Spiegelsaales unter den Palmen standen auffällig-unauffällig, lutschend an den besten Zigarrenmarken der jeweiligen Länder, die bestgekleideten, bestbezahlten Spitzel der Welt.
    Ein Abgeordneter des Portiers kam zu mir, Whitaker könnte mich erst in einer Stunde empfangen, ich möchte also die Güte haben, zu warten oder wiederzukommen.
    Also ich wartete. Zuerst machte mir Spaß, was ich sah. Bald fing ich an, mich zu langweilen. Auch die Wärme machte mir keinen Spaß mehr, ich hätte gern meine Jacke ausgezogen. In den unentwegt kalten Hotelzimmern, Cafés und Amtsvorräumen war ich zu einer Art Amphibium geworden. Ich sah den Leuten zu, die die Treppe hinauf- oder herunterstiegen oder aus dem Lift kamen und die Halle durchquerten, lebhaft oder steif, sich unmerklich begrüßend oder unmerklich schneidend, todernstoder lächelnd, aber alle so rollentreu, so präzis das ausdrückend, wofür sie selbst sich hielten oder wofür sie gehalten sein wollten, daß es aussah, als säße in dem Hoteldach einer, der sie an Fäden zog. Ich fragte mich, um meine Langeweile zu vertreiben, was für einen Beruf wohl der kleine, zarte Amerikaner haben möge mit dem großen, weißhaarigen Kopf. Er beschwerte sich bei dem Portier, der ihn demütig anhörte. Dann stieg er, statt den Lift zu benutzen, die Treppe hinauf, wie ich annahm, um sich zwischen zwei Kommissionen Bewegung zu machen. Ich hörte hinter meinem Rücken undeutlich den Klang deutscher Stimmen. Ich verschob meinen Sessel. In einem Speisesaal hinter der Glastür an einem weißen gedeckten Tisch saß eine Gesellschaft von Deutschen, teils in dunklen Röcken, teils in Uniformen. Ich sah in dem Nebel aus Spiegel und Rauch und Glas ein paar Hakenkreuze herumzucken. Gerade weil mir bei ihrem Anblick kalt wurde, gewahrte ich sie alsbald, wo immer sie steckten, wie ein Mensch, dem es vor Spinnen graust, ihrer immer gewahr wird. Doch hier in der durchgewärmten Halle am Boulevard d’Athènes bestürzten sie mich noch mehr als daheim in den Untersuchungsräumen der Zuchthäuser oder im Krieg auf den Röcken der Soldaten. Ich hatte unrecht gehabt, den Todesschauer der Menschen gering zu achten, die bei dem Durchsausen des Hakenkreuzautos ins Meer hätten laufen wollen. Hier hatte das Auto gehalten, am Boulevard d’Athènes, hier waren sie ausgestiegen, um mit den kleineren Herren der Welt zu verhandeln. Und war die Verhandlung zu Ende, dann würden wieder um einen den Herren gewährten Preis ein paar tausend Menschen mehr hinter Stacheldraht zugrunde gehen, ein paar tausend Menschen mehr mit zerfetzten Gliedern in den Gassen der Städte herumliegen.
    Meinem Sessel gegenüber hing eine große Uhr mit vergoldeten Zeigern. Zwanzig Minuten Frist. Dann mußte ich zu dem Mann Gottes hinaufsteigen. Ich schloß die Augen. Wenn der Konsul den Mann anhörte, dann warMariens Transit entschieden. Sie mußte abfahren. Ich mußte ihr Schiff erreichen. Ich mußte die Erde verlassen, die mir lieb war, mich jenen Schattenschwärmen anschließen, als sei ich einer von ihresgleichen, nur um Marie einzuholen. Wie hatte sie mich nur dazu gebracht, das zu betreiben, was ich am meisten fürchtete? Gedanken voll Scham und Reue erfüllten mich. Ich hatte als Kind meine Mutter vergessen, wenn ich angeln gegangen war. War ich beim Angeln, dann brauchte mir nur ein Flößer zu pfeifen, und ich kletterte zu ihm hinauf und vergaß mein Angelzeug. Er brauchte mich nur ein kleines Stück auf dem Floß mitzunehmen, und ich vergaß meine

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