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Transit

Transit

Titel: Transit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Seghers
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fragwürdig in der Rue de la Providence. Meine Freundschaft mit dem Georg Binnet war unerprobt, meine Zärtlichkeit für den Knaben ein schwaches Gefühl, das zu nichts verpflichtete, und was Nadine anging, fing ich nicht schon an, ihrer müde zu werden? Das war dann die Strafe für die unverbindliche Flüchtigkeit meines Durchzugs – ich mußte fort. Ich hatte eine Bewährungsfrist bekommen, eine Probe, ich hatte sie schlecht genutzt. Da sah der Beamte auf, er sah, daß ich blaß geworden war. Er sagte: »Wenn Sie durchaus noch bleiben müssen, dann bringen Sie bitte sofort die Bescheinigung eines Konsulats, daß Sie hier auf Abfahrtspapiere warten.«
    Ich ging zu Fuß zurück bis zum Place d’Alma. Es war bitterkalt. Die Kälte des Südens, die nicht an die Tageszeit gebunden ist; denn manchmal kann der Mistral die Mittagssonne vereisen. Er griff mich von allen Seiten an, um meine schwächste Stelle zu finden. Ich brauchte also sofort den Nachweis der Abfahrt, damit man mich bleiben läßt. Ich ging die Saint-Ferréol hinunter. Soll ich mich in dieses Café setzen gegenüber der Präfektur? Ich gehöre nicht hierher. Es ist das Café der Abfahrtsbereiten, die nur noch auf der Visa-de-sortie-Abteilung zu tun haben oder gar auf dem amerikanischen Konsulat. Vielleicht ist heute abend mein Abschiedsfest mit Nadine. Ich brauche jeden Sou. Ich stand jetzt schon auf der Cannebière. Warum ging ich nicht zum Alten Hafen hinunter, warum in entgegengesetzter Richtung hinauf, zur protestantischen Kirche? Kam mir dadurch der Gedanke, zum Boulevard de la Madeleine abzubiegen? Wählte ich diese Richtung sofort, weil ich eben dorthin wollte? Die Menschen drängten sich vor dem trüben Haus, in dem sichdas mexikanische Konsulat verbarg. Das Wappen über der Tür war fast erloschen, unkenntlich war der Adler. Der Pförtner fand mich sofort heraus mit seinem trockenen, klugen Blick, als trüge ich auf meiner Stirne das Geheimzeichen äußerster Dringlichkeit von irgendeiner den Konsulaten der Welt übergeordneten Behörde.
    »Nein, ich bedauere«, sagte der kleine Kanzler mit funkelnden Augen, »ich bedauere herzlich. Wir haben immer noch keine Bestätigung unserer Regierung, daß Sie mit Herrn Weidel identisch sind. Es handelt sich nicht um meine persönlichen Zweifel, um mein persönliches Vertrauen. Ich kann leider noch nichts für Sie tun.« Ich sagte: »Ich bin nur gekommen –« Seine Blicke wetzten sich an den meinen. Ich fühlte so stark wie noch nie den Wunsch, noch schlauer zu sein als er, noch gerissener, mich unter allen Umständen durchzuschlagen.
    Ich sagte: »Ich bin ja nur gekommen, um –« Er unterbrach mich: »Seien Sie vernünftig. Ich brauche die Benachrichtigung meiner Regierung, ich brauche –« – »So hören Sie mich doch zu Ende an«, sagte ich leise, ich fühlte selbst, daß jetzt mein Blick eine Spur fester, eine Spur zwingender war als der seine, »ich bin ja heute ausschließlich deshalb hierhergekommen, um eine Bescheinigung zu erbitten über die Verzögerung meiner Identifizierung zwecks Aufenthaltsverlängerung.« Er dachte einen Augenblick nach. Dann sagte er: »Das kann ich Ihnen ohne weiteres geben. Entschuldigen Sie bitte!«
    Ich lief mit meiner Bescheinigung in die Rue Louvois zurück. Ich erhielt einen Monat Verlängerung. Mein Herz klopfte stark. Wie würde ich diesen Monat nutzen? Ich bin ja jetzt gewitzt.
    Doch fand ich durchaus keinen Anhaltspunkt, wie ich mein Leben ändern könnte. Mit Nadine höchstens konnte ich etwas anders verfahren – das kam für mich selbst unerwartet. Ich hätte sie sicher als große Leidenschaft im Gedächtnis behalten, wenn ich hätte abfahren müssen. So aber, am Ende derselben Woche, war mirplötzlich der Geruch ihres Puders zuwider, es war mir zuwider, daß ihr nie, nie, selbst in meinen Armen nie eine Gebärde entschlüpfte, von der ihr Verstand nichts wußte, zuwider war mir das seitliche Lächeln, mit dem sie abends ihr schönes Haar aufwickelte. Ich fand einen Vorwand, ich ließ einen Abend ausfallen. Ich wußte nicht mehr recht weiter, ich wollte sie nicht kränken, sie war mir ja auch gut. Da kam sie mir selbst zur Hilfe. »Du mußt mir nicht böse sein, Kleiner«, sagte sie, »aber jetzt auf Weihnachten – gibt es bei uns auch Sonntagsarbeit und Überstunden.« Wir wußten, daß wir uns beide beschwindelten, und auch, daß solche Art Lüge viel besser, viel anständiger ist als die Wahrheit.
VI
    Inzwischen war auch mein letztes Geld zu Ende

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