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Transit

Transit

Titel: Transit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Seghers
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flüchtig an. Dann strich er die Buchung endgültig aus und bohrte sich mit dem Blei im Ohr. Ich traf auch hier wieder meinen kleinen Kapellmeister. Seine Augen glänzten im Fieber, als hätte man in einem Schädel ein Licht angesteckt. Er versicherte mir, vor Freude bebend, er trage die letzte Vorladung für das amerikanische Konsulat in der Tasche, sein Transit erwarte ihn endgültig, sein Kontrakt sei frisch verlängert, sein Visa de sortie gesichert, sein Schiffsplatz ordnungsgemäß gebucht. Ein Polizist löste auf der Schwelle die Kette von dem Handgelenk eines Menschen, den er hineinschob. Der kurze gedrungene Mann rieb gleichmütig sein Handgelenk. Er kam mir bekannt vor. Er begrüßte mich. Er war der Mann meiner ersten Zimmernachbarin. Die freilich, erzählte er ziemlich gelassen, seischon aus dem Bompard nach Gurs überführt, in das Massenlager am Abhang der Pyrenäen. Er selbst sei ja damals zurückgekehrt in sein Departement, wohin die Frau ihm auch hatte nachfolgen wollen, was aber verhindert worden sei durch die nur in seinem Departement gültige neue Order, daß alle waffenfähigen Fremden zwangsverschickt werden sollten. Die Order sei widerrufen worden, er aber habe noch vor dem Widerruf einen Fluchtversuch unternommen, daher die weitere Haft, die neuen Handschellen. Natürlich seien inzwischen alle, aber auch alle seine Papiere hoffnungslos abgelaufen. Er habe sich jetzt nach Marseille bringen lassen, um eine neue Vorbuchung zu versuchen. Der Korse hörte ihn gähnend an, er bohrte, er gähnte ein sanftes Unmöglich. Der Polizist hatte scharf gehorcht, die Handschellen klirrten, er schob seinen Mann hinaus.
    Ein gutgekleideter Mensch trat ein, bei dem ich weder die Herkunft abschätzen konnte noch das Alter. Er bekam einen Haufen Geld ausbezahlt, den er rasch und gleichgültig durchzählte. Dann zählte er ein paar Scheine ab, warf sie auf die Schranke zurück und bat, nein, befahl eine Umbuchung seiner Passage auf den nächsten Monat wegen Visenverzögerung. Unsere Blicke kreuzten sich, als er mich im Hinausgehen streifte. Ich weiß nicht, ob ich mir später erst eingebildet habe, ich hätte schon damals den Wunsch gespürt, zu wissen, wer er sei, eine Ahnung unserer Zusammengehörigkeit, worin, das würde sich später erhellen. Dabei war gewiß keine Wärme in dem Blick, der mich aus dem bis zur Leere zusammengenommenen Gesicht gestreift hatte, weit eher menschliche Kühle – Nach ihm war die Reihe an mir. Ich zeigte meine Visenbestätigung. Der Korse nahm gähnend zur Kenntnis, daß Weidel gleich Seidler sei. Ein Mann dieses Namens war ohne Zweifel schon längst erwartet, sein Dossier war vorbereitet, seine Passage war bezahlt, für ihn, den Korsen, stand nichts im Weg, einen Schiffsplatz für diesen Mann zu buchen, wenn er nur zum Visum sein Transitbeschaffte. Zuerst das amerikanische, die Durchfahrt durch Spanien und Portugal sei danach ein Kinderspiel. Er sah mich flüchtig an. Ich hatte auf meinem Gesicht die Empfindung, als bestehe sein Blick aus einem Tropfen Flüssigkeit, ja, ich wischte mein Gesicht ab. Ich trat zurück und las die Bestätigung meiner bezahlten Passage, die er mir gut und gern ausgestellt hatte. Ich sah im Fortgehen noch einmal zu ihm hinüber – zu meiner Verblüffung war jetzt sein fettes, braunes Gesicht belebt, er lächelte jemandem zu.
    Natürlich war es keiner von uns, der imstand war, sein Dauergähnen zu unterbrechen. Das Lächeln galt einem schäbigen Männlein, das plötzlich neben der Tür stand. Es trug ein schmutziges Mäntelchen. Seine Ohren waren rot gefroren. Er sagte trocken in das Gewinsel der Transitgänger hinein, die seiner keineswegs achteten, obgleich der Korse mit ganzem Herzen bei diesem Männlein war, und nur die Spitze des Bleistifts auf eine Stelle des Dossiers gesetzt hielt, das eben vor ihm lag: »Hör mal, José, Bombello fährt bloß bis Oran mit. Wir warten noch immer auf eine Ladung Kupferdraht.« Der Korse erwiderte freundlich: »Wenn ihr plötzlich abfahren solltet, dann grüßt mir die Freunde in Oran. Vor allem grüß mir Rosario!« Er machte die Andeutung einer Kußhand. Das Männlein lächelte kläglich. Es huschelte mäuseartig ins Freie.
IV
    Ich folgte ihm nach aus purer Langeweile. Es stellte sein schmales Krägelchen hoch, das doch seine Ohren nicht schützte. Der Wind war so scharf, daß er selbst das Wasser des Alten Hafens kräuselte. Wir waren beide auf einen solchen Winter schlecht vorbereitet. Er aber war Südländer.

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