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Transit

Transit

Titel: Transit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Seghers
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Ich konnte die Sache schon besser durchhalten. Wir zottelten hintereinander her auf der rechtenHafenseite. Er hielt vor einem winzigen, elenden Café. Ein Rest von Bemalung, ein kläglicher ausgewachsener Schnörkel belehrten mich, daß dieses Haus in fernen Friedens- und Sommerzeiten afrikanische Kunden bedient hatte. Mein Männlein huschelte durch die Perlenschnüre des Türvorhangs. Ich wartete zwei Minuten, bevor ich ihm folgte – aus purer Langeweile folgte. Mein Männlein saß bereits unter seinesgleichen, die Tafelrunde bestand aus vier bis fünf Mitmäusen, einem traurigen Mulatten und dem alten Barbier aus dem Nachbarhaus, dem sicher der Pinsel vereist war. Sie alle waren mit gar nichts beschäftigt. Der Wirt war hinter der Theke hervorgetreten und hatte sich zwischen zwei blaugefrorene Straßenmädchen gesetzt. Sie starrten mich allesamt an. Das Café starrte vor Kälte und Langeweile. Und dieser steinerne Fußboden, auf dem nicht einmal mehr Flöhe hüpften! Und diese verdammten durchlässigen Perlenschnüre, die leise im Winde klirrten! Es war bestimmt der ödeste Ort in Marseille, vielleicht am ganzen Mittelmeer. Bestimmt wurden hier keine schwereren Sünden begangen als ein Aperitif an einem alkoholfreien, eisigen Mittwoch.
    Ich bekam ein Gläschen. Sie sahen mir alle zu mit der stursten Aufmerksamkeit. Ich beschloß, zu warten, bis jemand mich ansprach. – Nach zwanzig Minuten begann ihnen meine stumme Anwesenheit unerträglich zu werden. Das Männlein tuschelte mit seinen Nachbarn. Dann kam es an meinen Tisch gehuschelt und fragte mich, ob ich warte. Ich erwiderte: »Ja.« Er war durchaus nicht der Mensch, der imstande ist, sich mit einer einzigen Silbe Antwort abzufinden. »Sie warten auf Bombello?« Ich sah ihn kurz an. Seine Mäuseäugelchen wurden unruhig. »Es hat keinen Zweck zu warten, Herr. Er hat einen Zwischenfall gehabt. Er kann vor morgen nicht hier sein.« – »Gestatten Sie, meine Herren«, sagte ich, »daß ich mein Glas in Ihrer Gesellschaft austrinke?«
    Ich fragte dann später vorsichtig nach dem Boot fürOran. – Ein portugiesischer Kargo. – Man warte noch auf die Kupferdrahtladung. Die mußte die deutsche Kommission erst freigeben. – Von Oran ab fahre der Kahn nach Lissabon, wahrscheinlich mit Leder. – Ob ich denn Papiere hätte? – Dann brauchte ich nicht auf Bombello zu warten, behauptete ich, sondern könnte gleich auf die Transports Maritimes gehen. Mein Männlein fing jetzt zu klagen an, die Sache sei viel zu riskant, die Arbeitserlaubnis stehe jetzt auf dem Spiel, Kassierung der Lizenz. Ich deutete einen Zweifel an, ob er je welche ordnungsgemäß besessen hätte. Und langsam gediehen wir bis zu dem ersten Kostenvorschlag. Ich rang die Hände über dem Kopf.
    Ich hatte dabei nichts anderes vor, als die Mittagszeit zu vertrödeln. Ich hatte nicht die geringste Verwendung für eine Passage Oran–Lissabon. Mir wurde gerade ein neues, weit günstigeres Preisangebot gemacht, als jemand ungeschickt, mit zwei Händen zugleich, den Schnurvorhang teilte. Ich erblickte die Frau auf der Schwelle. Sie war wohl gegen den Wind gelaufen, um jemand einzuholen. Sie hielt sich am nächsten Stuhl fest. Ich stand auf, ging einen Schritt auf sie zu. Sie sah mich an. Ich weiß nicht, ob sie mich damals erkannt hat – Wenn ja, dann höchstens als einen der Transitäre, die man in dieser Stadt mit einer gewissen Regelmäßigkeit wiedertrifft. Vielleicht war mein Gesicht auch allzu verändert – denn mehr als Bestürzung, Furcht empfand ich damals bei ihrem Anblick, als hefte sich etwas immer zäher an meine Fersen, das mir kein Zufall erklären konnte und keine Bestimmung. Sie lief hinaus, sofort fiel die törichte Furcht von mir ab, ich erschrak nur, weil sie fort war. Ich lief ihr nach. Ich hatte eine Sekunde gezögert, doch war die Straße schon leer. Sie war vielleicht auf die Bahn gesprungen, die an dem Haus vorbei nach der Innenstadt fährt.
    Ich kehrte an meinen Platz zurück. Ich fand die ganze Gesellschaft ein wenig lächelnd, ein wenig angewärmt.Und ich, ich hatte jetzt Wärme nötig, ich nahm sie, wo ich sie fand. Der Barbier fragte mich, ob ich mich mit ihr entzweit hätte. Die Worte trafen erstaunlich genau mein eigenes Gefühl, ich hätte sie längst gekannt, ein gemeinsames Leben liege hinter uns, dann hatten wir uns entzweit. Der ganze Vorgang hatte die Gäste für mich günstig eingenommen. Wahrscheinlich stimmt es die Menschen günstig, wenn einer etwas von sich

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