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Transit

Transit

Titel: Transit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Seghers
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dem nicht zumindest einmal die Frage durch den Kopf ging, ob er dort notwendig sei. Ich hatte für mich die Frage mit nein beantwortet. Ich hatte gerade damals Aussicht, am Krankenhaus Saint-Evrian zugelassen zu werden. Das hätte die Nutzbarmachung meiner Kenntnisse auf die Dauer versprochen.« – »Und hat man sie zugelassen?« – »Die Sache hat sich hingezogen«, sagte er müde, »wie jede Sache in diesem Lande. Endlos hingezogen. Dann kam der Krieg.« – »Ihr Namensvetter war sicher inzwischen aus Spanien längst zurück?« – »Er war sogar vor mir hier in Marseille. Ich habe Erkundigungenüber den Mann eingezogen. Gerade das ist mir fatal geworden, daß er sein Transit nicht eingereicht hat. Dann wär es doch ihm, dem Richtigen, gleich verweigert worden, die ganze Verwechslung wäre unmöglich gewesen, man hätte mich durchgelassen. Der Mann aber hat erst gar nicht sein Transit verlangt. Er ist, wie man mir in seinen Kreisen erzählt hat, mit falschen Papieren über die Berge und fast zu Fuß bis nach Portugal. Ein abenteuerlicher Mensch, mein Namensvetter. So traf die Transitverweigerung mich, weil ein Arzt dieses Namens auf dem spanischen Konsulat signalisiert war.«
    Ich hatte mir während dieses Berichts zuletzt unseren Knaben betrachtet. Er starrte dem Arzt auf den Mund. Ich hätte etwas darum gegeben, in seinem Gesicht zu lesen. Er horchte angestrengt auf die Erzählung papierener Abenteuer, den Durchbruch durch einen Urwald von Dossiers.
    Claudine brachte den Kaffee. Er hatte auf uns, die wir längst keinen echten getrunken hatten, die Wirkung von starkem Wein. Wir wurden hellwach. Ich hatte auf einmal das Bedürfnis, dem Arzt zu helfen. Ich prahlte ihm vor, ich wisse ein Mittel, Lissabon über Oran zu erreichen. Ob er Geld habe? Der Ausdruck des Knaben, der uns beobachtete, war noch gespannter als der des Arztes. Plötzlich drehte er sich zur Wand und zog sich die Decke über die Ohren. Da stand der Arzt auf, zu rasch, wie mir schien, nachdem man ihm einen so kostbaren Kaffee vorgesetzt hatte. Er hatte jetzt nichts anderes mehr im Sinn, als »meine Ratschläge noch einmal genau und allein zu hören«. Er schleppte mich durch die Gassen, seinen Arm in meinem. Ich mußte ihm alle Einzelheiten erklären, obwohl sie mir damals selbst noch unklar waren. Vor allem fragte ich mich, ob er je imstande sein werde, die Tips zu verwerten, die ich ihm gab. Er hörte gierig alle Möglichkeiten an, selbst die absurdesten. Und Ecke Rue de la République lud er mich ein zum Abendessen. Ich nahm auch an, obwohl ich wußte, daß er mich nicht einlud,weil ich ihm gefiel, sondern weil ich einen Tip wußte. Er würde in dem Café morgen erzählen: Ich habe gestern mit einem Menschen zu Abend gegessen, der einen Tip gewußt hat. Ich nahm aber trotzdem an. Ich war allein. Ich fürchtete mich vor dem Rest des Abends. Mein kaltes Zimmer, ein Paket Gaulois Bleu, und immer gequält von demselben Bild.
    Wir betraten die Pizzaria. Ich setzte mich mit dem Gesicht zum offenen Fenster. Der Arzt ließ drei Gedecke bringen. Er sah auf die Uhr. Er bestellte eine Pizza für zwölf Francs. Man brachte den Rosé. Die ersten zwei Gläser Rosé trinken sich immer wie Wasser. Das offene Feuer da, sehen Sie, kann mir gefallen. Und wie der Mann auf den Teig schlägt mit lockerem Handgelenk. Ja, eigentlich gefällt mir auf Erden nur das: ich meine, nur das gefällt mir, was immer vorhält. Denn immer hat hier ein offenes Feuer gebrannt, und seit Jahrhunderten hat man den Teig so geschlagen. Und wenn Sie mir vorwerfen, daß ich selbst immer wechsle, so antworte ich, das ist auch nur eine gründliche Suche nach dem, was für immer vorhält.
    Der Arzt sagte: »Erzählen Sie mir doch bitte noch einmal alles, was Sie über die Fahrt nach Oran wissen!« Ich erzählte ihm also zum drittenmal, wie ich den kleinen, kläglichen Mausemann bei dem Korsen entdeckt hatte und ihm nachgegangen war, um etwas über eine Passage in Erfahrung zu bringen, so wie jetzt der Arzt mir nachging, um etwas über eine Passage in Erfahrung zu bringen. Nicht ich, der Arzt saß mit dem Gesicht zur Tür. Auf einmal veränderte sich sein Gesicht. Er sagte: »Erzählen Sie bitte Marie alles noch einmal.« Ich drehte mich um. Da kam denn die Frau an den Tisch. Sie sagte nichts. Sie nickte ihm nur leicht zu in altem, geläufigem Einverständnis.
    Der Arzt sagte: »Der Herr hier hat die Freundlichkeit, uns einen guten Ratschlag zu geben.« Sie sah mich kurz an. Zuweilen ist das

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