Transit
aufdeckt, was sie begreifen. Sie rieten mir alle eine rasche Versöhnung an. Es könne plötzlich zu spät sein. Als ich wegging, hießen sie mich am nächsten Tag wiederkommen, abends um neun sei Bombello da.
V
Ich trat danach in das nächste Café – was sollte ich sonst auch tun? Das Café hieß Brûleurs des Loups. Ich sah im Vorbeigehen den Korsen in der geheizten Glasveranda des Cafés Kongo. Er erkannte mich und lächelte. Ich schrieb dieses Lächeln dem Umstand zu, daß ich seinem Herzen näherstand als seine üblichen Prestatairekunden. Es gibt in den Brûleurs des Loups manchmal echte Franzosen. Sie sprechen statt von Visen von vernünftigen Schiebungen. Ich hörte sogar ein gewisses Boot nach Oran erwähnen. Während im Mont Vertoux die Besucher alle Umstände der Passage breittraten, verhandelten diese Leute hier über alle Umstände der Kupferdrahtladung.
Der Alte Hafen war blau. Sie kennen ja das helle Nachmittagslicht, das kalt in alle Ecken der Welt hineinscheint, und alle Ecken der Welt sind öde. An meinem langen Tisch saß eine großfrisierte dicke Person. Sie fraß unzählige Austern. Sie fraß aus Kummer. Ihr Visum war ihr endgültig verweigert worden, deshalb verfraß sie ihr Reisegeld. Doch gab es kaum etwas anderes zu kaufen als Wein und Muscheln. – Der Nachmittag schritt vor. DieKonsulate wurden geschlossen. Jetzt überschwemmten die Transitäre, von Furcht gepeinigt, die Brûleurs des Loups und jeden denkbaren Ort. Ihr tolles Geschwätz erfüllte die Luft, das unsinnige Gemisch verwickelter Ratschläge und blanker Ratlosigkeit. Das dünne Licht der einzelnen Anlegestellen bestrich schon die dunkler werdende Fläche des Alten Hafens. Ich legte mein Geld auf den Tisch, um in den Mont Vertoux hinüberzuwechseln.
Da trat die Frau in die Brûleurs des Loups. Sie hatte noch immer den traurig finsteren Ausdruck eines Kindes, das man beim Spiel zum besten hält. Sie suchte sorgfältig alle Plätze ab, mit jener traurig ergebenen Sorgfalt, die in den Märchen die kindlichen Frauen haben, die eine nutzlos aufgegebene Arbeit umsonst tun. Denn ihre Suche war wieder nutzlos, sie zuckte die Achseln und ging. Mir flog der Rat durch den Kopf, den ich am Mittag empfangen hatte: Wart nicht, bis es zu spät ist!
Ich folgte ihr auf die Cannebière. Ich wußte bereits, daß dieses entschiedene Zulaufen doch kein Ziel hatte. Der Mistral hatte längst aufgehört. Und ohne seine eisigen Pfiffe war die Nacht ganz erträglich, eine Mittelmeernacht. Die Frau überquerte die Cannebière vor dem Cours d’Assas. Ich sah ihr an, daß sie plötzlich zu müde war, einen Schritt weiterzugehen.
Die Bank stand gegenüber dem mexikanischen Konsulat. Ich erkannte das große ovale Wappenschild, den Adler auf den Kakteen, in der Dunkelheit nur, weil ich es kannte. Für die Frau war es nichts, so glaubte ich, als irgendeine matt glänzende Fläche, und auch das Tor war für sie nur eines der tausend nächtlich verschlossenen Tore der Stadt. Mich aber verließ das Gefühl nicht mehr, daß dieses Wappen dabei war. Es war nun einmal an mich geraten wie irgendeins an irgendeinen Kreuzfahrer. Ich wußte nicht ganz genau, wie und warum, doch schmückte es nun einmal mein Schild, mein Visum, mein Transit, wenn ich je eins erwerben würde. Und jetzt war es auch dabei.
Ich setzte mich auf das andere Ende der Bank. Die Frau wandte mir ihr Gesicht zu. In ihrem Blick, in ihrem Gesicht, in ihrem ganzen Wesen war eine solche Bitte, eine so flehentliche Bitte um Alleinsein, um in Ruhe gelassen zu werden, daß ich augenblicklich aufstand.
VI
Ich ging zu Binnets hinauf. Claudine war damit beschäftigt, aus nationalem Kaffee-Ersatz, der diesmal statt aus Gerste aus getrockneten Erbsen bestand, die echten Kaffeebohnen herauszulesen. Sie hatte alle Kaffeekarten des Monats geopfert, um einen einzigen echten Kaffee zusammenzubrauen für ihren Gast, den Arzt. Der Arzt war heute verzweifelt.
Er hatte den Martiniquedampfer abfahren lassen, um sich für den kommenden Monat in Lissabon buchen zu lassen. Jetzt war ihm das spanische Transit verweigert worden. Ein Zwischenfall, mit dem er nicht hatte rechnen können. Er war der Sache schon nachgegangen; er hatte in Erfahrung gebracht, daß er auf dem Konsulat mit einem Arzt gleichen Namens verwechselt wurde, der während des Bürgerkrieges den Sanitätsdienst der Internationalen Brigaden geleitet hatte. Ich frage ihn, ob er selbst in Spanien gewesen sei. »Ich? Nein. Es gab ja wohl damals niemand,
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