Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Transit

Transit

Titel: Transit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Seghers
Vom Netzwerk:
tückischen Kobold geraten ist oder an einen holden, verläßt man die Höhle beglückt oder zähneknirschend. Mir schenkten sie eine neue Magie, eine neue Vorladung. Man bedeutete mir, ich bekäme nur dann das beschränkte Aufenthaltsrecht, wenn ich an Stelle der allgemeinen Abfahrtsnachweise einen festen Schiffstermin mitbrächte, das Datum der Abfahrt und das Transit, mein Durchfahrtsrecht durch die Vereinigten Staaten.
II
    Ich trat fast betäubt in den Mont Vertoux, um ein wenig Atem zu schöpfen. Da war denn die Frau das erste, was ich erblickte, als ich klarsehen konnte. Sie stand, an die Wand gelehnt, hinter dem Tisch, an dem ich am liebsten zu sitzen pflegte. Ich nahm mich rasch zusammen und setzte mich. Ihre Hand lag minutenlang auf meiner Stuhllehne. Vom Nachbartisch beugte sich jemand zu mir herüber, er werde in dieser Woche mit einer Ladung Drahtrollen nach Oran befördert. Er habe auch schon seine Route nach Tanger aufs englische Konsulat. Der Mensch entwickelte wie ein Schauspieler eine weit hörbare Technik des Flüsterns. Die Drehtür schob meine Zimmernachbarin in den Mont Vertoux mit ihren zwei Hunden, die freudig auf mich zu jaulten. Sie zog ihre Leine strammer und grüßte lachend. Am gegenüberliegenden Tisch bekamen zwei Leute Streit, auf welche Weise Gibraltar künstlich vernebelt werde, sobald ein Schiff gemeldet war. Und ihre Hand lag noch immer auf meiner Stuhllehne. Ich sah an ihr hinauf. Ihr braunes, schlecht undrecht geschnittenes Haar steckte achtlos in der Kapuze. Sie machte plötzlich die einzige Bewegung, die in Betracht kam: Sie hielt sich die Fäuste vor die Ohren. Dann lief sie weg.
    Ich war bereits auf der Straße. Da packte mich jemand am Ärmel. »Dein Weidel hätte sich bei mir bedanken dürfen«, sagte das Paulchen. Ich wollte ihn abschütteln, doch er stellte wahrhaftig den Fuß in die Drehtür, und ich, ich kämpfte wahrhaftig mit diesem Fuß, der zäh und frauenhaft klein war, und braunrot, widerlich blank beschuht. »Na, was denn«, sagte das Paulchen, »ich habe mir wirklich für deinen Weidel die Zunge aus dem Hals geredet. Es gab da große, sogar berechtigte Voreingenommenheiten. Ich habe meine Macht gebraucht. Ich habe nicht meine Zeit gescheut, mich durchgeackert durch Komitees, für ihn aber ist ein Gang, eine Geste, ein Dankeswort –« – »Entschuldige, Paulchen«, ich brachte mit großer Willensanstrengung mein Herz, mein Gesicht zur Ruhe, »das alles ist ausschließlich meine Schuld. Ich hätte mich längst in seinem Auftrag bedanken müssen. Seiner ganzen Natur nach ist ihm ein solcher Gang auf ein Komitee, eine solche Geste, die für uns nichts ist, ein unausführbares Unternehmen.« – »Nur Mätzchen!!« rief Paul, »nach einer gewissen Seite hin sind ihm gewisse Gesten leichter gefallen.«
    Ich mußte ihn auf der Stelle versöhnen und lud ihn zu einem Aperitif ein. »Das darfst du mir jetzt nicht abschlagen«, sagte ich. »Du bist es im Grunde, der spendet. Die Befolgung deiner Ratschläge –«
    Er ließ sich befrieden. Wir tranken zusammen. Ich fühlte freilich, daß er sich mit mir langweile. Er drehte den Kopf nach allen Seiten und wurde unruhig und wechselte schließlich mit einer Entschuldigung an einen anderen Tisch, wo er von einer Gesellschaft Männer und Frauen mit Ah und Oh begrüßt wurde.
III
    Ich folgte, wem sollte ich sonst auch folgen, dem Kanzler des mexikanischen Konsulats. Es war der einzige menschliche Rat, an meine Person ergangen, die längst aller Ratgeber ledig war. Ich ging auf das Reisebüro.
    Der kleine Laden war unansehnlich und glanzlos, als hätte man die Verwaltung des Jüngsten Gerichts in ein Tabakgeschäft gelegt, an irgendeiner Straßenecke. Doch war er längst groß genug für die, die sich bis hierher durchrangen. Sie traten, geschmückt oder zerlumpt, vor der Schranke an und flehten um Schiffsplätze. Da gab es gültige Transits, doch unbezahlte Plätze, bezahlte Plätze und abgelaufene Transits. Und all das Betteln und Winseln schlug jenseits der Schranke an die breite Brust eines braunen, ölig gescheitelten Mannes, dem ich schon einmal im korsischen Viertel unter seinen Landsleuten begegnet war, als ich dort mit meinem Freund Binnet Wein getrunken hatte. Er unterdrückte ein Gähnen, das schließlich doch aus seinen Kinnladen hervorquoll, gleichzeitig mit dem Aufschluchzen einer jungen Frau, deren Passage nicht umgebucht werden durfte. Sie schlug mit ihren zwei kleinen Fäusten auf die Schranke. Er sah sie

Weitere Kostenlose Bücher